Leo
Telefonisch
In der heutigen Zeit ist das Leben transparent. Egal, ob Tag am Strand, Familienfeier oder aufgeschürftes Knie, die Bilder schieben sich durch den Status und sehr viele Menschen können dabei zusehen. War eine Telefonkonferenz früher zumindest ein teilprivater Raum, in dem man sich auch mal am Rücken kratzen konnte, bringen
Videositzungen von heute jeden versäumten Friseurbesuch gnadenlos ans Licht – von Unordnung auf dem Schreibtisch ganz zu schweigen. Und abgesehen davon, dass dieses Problem zumindest beim Status ein hausgemachtes ist: War es nicht schön, als man unangefochten von ständigem Scheinwerferlicht seine Kreise ziehen konnte? Zum Glück birgt wenigstens noch ein schnödes Telefonat Geheimnisse: „Hast du dich nicht auch schon mal gefragt, wie der am anderen Ende aussieht?“, wollte neulich eine Kollegin wissen. Habe ich. Aber abgesehen davon, dass WhatsApp, Linked.in und ins Netz gestellte Behörden-Organigramme meist auch hier Antworten haben:
Manchmal hat Unwissenheit durchaus ihren Reiz. So erzählte eine Freundin von ihren Telefonaten mit einem Projektpartner, der sie mit seiner Eloquenz, seinem Charme und seinem Humor regelrecht betörte. Das Bild, das sie sich daraufhin machte, kam wahrscheinlich aus Hollywood. Allerdings zeigte sich der Stimmen- George-Clooney beim ersten Treffen als ganz normaler Mann fortgeschrittenen Alters und Bauchumfangs. Und genau das ist der Grund, weshalb ich niemals telefoniere.
Euer Museumslöwe
(notiert von Katja Haescher)