Hausgeschichten
Zeichen gesetzt für die Bildung
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die Erich-Weinert-Schule.
Das Schweriner Adressbuch von 1911 listet unter „Beethovenstraße“ einen einzigen Eintrag auf: „Neubau Bürgerknabenschule“. Dieses Gebäude bildete den Ausgangspunkt für die Bebauung des seinerzeit noch ziemlichen neuen Teils der Stadt. Erst 1914 wurde die gegenüberliegende Häuserzeile errichtet.
Noch dominiert das Schulgebäude die Optik zumindest des nördlichen Teils der Straße. Die Größe des Hauses war nicht allein Ausdruck des Platzbedarfs, sondern setzte auch ein Zeichen. Der Historiker Dr. Bernd Kasten, Leiter des Schweriner Stadtarchivs, sagt: „Bildung war im Kaiserreich schon ein wichtiger Faktor. Das kann man auch an den Schulbauten und deren Ausstattung sehen.“ Aber es gab Unterschiede. Die Bildungseinrichtungen für Kinder waren Standesschulen. Söhne und Töchter aus Arbeiterfamilien besuchten sogenannte Stadt- und Waisenhausschulen, die später Volksschulen genannt wurden. Gymnasien waren Kindern aus der Oberschicht vorbehalten. Und dazwischen gab es die Bürgerschulen.
Diese waren schöner, besser ausgestattet und beschäftigten meist qualifiziertere Lehrer als die Volksschulen. Darüber hinaus bekamen sie mehr Geld aus der Stadtkasse. Dies beschlossen die Stadtverordneten so – in erster Linie gut situierte Bürger, Kaufleute und Handwerker, deren Nachwuchs genau diese Bürgerschulen besuchte. Zudem musste hier im Gegensatz zu den Volkschulen Schulgeld bezahlt werden.
Mädchen und Jungen lernten getrennt in Bürgerknabenschulen und Bürgertöchterschulen. 1910 besuchten fast 1.600 Jungen in Schwerin die Bürgerknabenschule und ungefähr 700 Mädchen die Bürgertöchterschule.
Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts zog die Knabenschule mehrfach um, zudem wurden zusätzlich mehrere Außenstandorte genutzt. Zeit also, das Lerngeschehen in einem Gebäude zu konzentrieren.
Im Januar 1910 entschied die städtische Verwaltungsspitze, einen Entwurf nach Plänen des Architekten Wilhelm Schmidt und des Stadtbaudirektors Hans Dewitz umzusetzen. Im Herbst desselben Jahres wurde mit dem Bau im Stil der Klassischen Moderne angefangen.
Im November 1911 begann der Lehrbetrieb – allerdings als „Städtische höhere Mädchenschule“. Die Stadt hatte sich kurzfristig entschieden, die Buben erstmal warten zu lassen. Die Mädchenschule, ab 1912 Lyzeum genannt, wurde im Frühling 1911 gegründet, der Unterricht fand zunächst verstreut in mehreren Häusern statt. Das zentrale Gebäude auf einer Teilfläche des einstigen Domfriedhofs wurde nicht so schnell fertig wie gewünscht, erst Mitte 1912 gab es verwendbare Baupläne.
Ostern 1914 zog das Lyzeum endlich in das neue Schulhaus am Totendamm (heute befindet sich dort das Fridericianum). Jetzt durften die Bürgerknaben das eigentlich für sie gebaute Haus in Beschlag nehmen. Das waren immerhin an die 1.500 Schüler. Ins Gebäude integriert war ein Internat, und der Schuldiener Heinrich Jacobs kam dort unter. Wahrscheinlich waren unter den Schülern auch Söhne der Anwohner der Beethovenstraße, denn in der Nachbarschaft der Schule hatten derweil unter anderem Bauunternehmer, Kaufleute und Musiker die Häuser bezogen.
Die Bürgerknabenschule trug keinen besonderen Namen, wurde aber wegen ihres Standorts auch Beethovenschule genannt. Nach dieser Logik hätte sie von 1939 bis 1945 Blücherschule heißen müssen. 1939 wurden die Bismarckstraße und die bisherige Beethovenstraße zu einer Straße zusammengelegt und gemeinsam nach Fürst Blücher von Wahlstatt benannt. Eine Beethovenstraße gab es nun an anderer Stelle; sie verbindet noch heute den Platz der Freiheit mit dem Obotritenring.
Im ersten Weltkrieg und bis 1920 wurde die Schulturnhalle vorübergehend als Lazarett genutzt. Nach dem Kriegsende und mit dem Beginn der Weimarer Republik verabschiedete man sich vom System der Standesschulen. In diesem Zuge wurde die Bürgerknabenschule im Juli 1921 verstaatlicht. Ab 1923 hieß sie „Staatliche Mittelschule für Knaben“. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde sie in „Adolf-Hitler-Schule“ umbenannt. Zum Ende des zweiten Weltkriegs zog erneut ein Lazarett ein, und von 1945 bis 1954 wohnten dort Sowjetsoldaten.
Ab Juni 1954 wurde das Haus in der jetzt nach Rudolf Breitscheid benannten Straße wieder als Schule genutzt. Die Einrichtung hieß einfach „Schule in der Rudolf-Breitscheid-Straße“. Das blieb auch so, als sie 1956 in eine Mittelschule und 1959 in eine Polytechnische Oberschule umgewandelt wurde. Am 3. Juni 1961 waren Schüler und Lehrer zu einer Festveranstaltung ins Staatstheater eingeladen, auf der die Witwe Elisabeth „Li“ Weinert der Schule den Namen „Erich Weinert“ verlieh.
Seinerzeit verfügte die Erich-Weinert-Oberschule sogar über ein Lehrschwimmbecken, jetzt immerhin noch über eine Turnhalle.
Der Name blieb der Schule bis heute erhalten, obgleich sich die Struktur in den Jahren nach der Wende mehrfach änderte. Im August 2021 begann der Schulbetrieb in einem für mehr als 18 Millionen Euro sanierten Gebäude. Zirka drei Jahre haben die Arbeiten gedauert. Im Zuge des Umbaus erhielt die Schule eine Mensa als modernen Anbau. S. Krieg