Hausgeschichten
Diners und Bälle für 100 Gäste
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Alexandrinenstraße, wo das einstige Domanialamt als Teil des Residenzensembles aus der Verwaltungsgeschichte des Großherzogtums erzählt.
Es braucht mehr als ein Schloss, damit eine Residenz funktioniert. Zum Schweriner Welterbe-Ensemble zählen deshalb Kirchen und Kasernen genauso wie Bauten für Verwaltung und Infrastruktur. In diese Reihe gehört auch das Domanialamt in der Alexandrinenstraße.
Großherzog Paul Friedrich gab 1842 den Auftrag für den Bau. Das fertige Gebäude sah er nie: Der Fürst starb im gleichen Jahr und als die Baugerüste zum Pfaffenteich 1845 fielen, saß sein Sohn Friedrich Franz II. auf dem Thron von Mecklenburg-Schwerin. Der ambitionierte junge Mann setzte in den folgenden Jahren den Ausbau der Residenz fort. Mittel für seine Hofhaltung bezog er unter anderem aus seinem Grundeigentum: Dem Großherzog gehörten in Mecklenburg-Schwerin rund 5600 Quadratkilometer Land. Das so genannte Domanium nahm rund 40 Prozent der Landesfläche ein und wurde im Großherzoglichen Amtshaus sowie weiteren Domanialämtern im Land verwaltet.
Das Haus am Pfaffenteich war also bei seiner Entstehung ein neues Bürogebäude. Die Schreibstuben befanden sich im Mittelteil. Im linken Flügel hatte der Erste Beamte – heute würde man Landrat sagen – seine Dienstwohnung, im rechten Flügel wohnte der Registrator. Hinter dem Haus lagen Stallungen und kleine Gärten, die bis zur Wismarschen Straße reichten. Dort wohnten Landreiter und Amtsdiener – in Dienstwohnungen und in besonderer Nachbarschaft. An die Wohnung des Amtsdieners grenzte nämlich ein Gefängnis mit 14 Zellen für straffällig gewordene Bewohner des Domanialamtes Schwerin.
Zu dessen Bereich zählten neben den später eingemeindeten Nachbardörfern, darunter Lankow und Mueß, auch die Seen mit ihren Uferzonen und weitere innerstädtische Flächen. „Das Gebäude wird also mit gutem Grund zum Schweriner Residenzensemble gezählt“, sagt der Leiter des Stadtarchivs Bernd Kasten.
Auch eine Ministerwohnung befand sich in dem Haus am Pfaffenteich – und ist mit Erinnerungen an größere Gesellschaften verknüpft. „Wir mußten in die Dienstwohnung in der Alexandrinenstraße ziehen“, schreibt darüber Adolf Langfeld, der 1904 zum Minister ernannt wurde. Er berichtet von den baulichen Änderungen, die dem Einzug vorausgingen. Hatte nämlich Amtsvorgänger von Amsberg als Witwer seine gesellschaftlichen Verpflichtungen sehr einschränken können, wurde von den Langfelds mehr erwartet – „zumal bei der Entwicklung des Hoflebens unter dem jungvermählten Großherzogspaar“, wie Langfeld schreibt. Großherzog war zu diesem Zeitpunkt der damals 22-jährige Friedrich Franz IV., der 1904 Alexandra von Hannover und Cumberland geheiratet hatte.
Die Ministergattin erwies sich der Aufgabe gewachsen: „Dank der praktischen Anregung meiner Frau wurden durch die Entfernung von Wänden u.a. solche Festräume hergestellt, daß es uns möglich wurde, darin Diners von 100 Gästen und Bälle mit 130 Gästen zu veranstalten, ohne daß eine Überfüllung entstand.“ Rund 400 Einladungen verschickten die Langfelds jeden Winter zu solchen Anlässen. Die hohe Zahl ergab sich aus den Listen, die das Hofmarschallamt alljährlich über Familien und deren Rang führte. Zu den höheren Beamten kamen in Schwerin als Sitz einer großen Garnison auch zahlreiche Offiziere. Langfelds Frau war nicht adlig, weshalb ihr durch besonderen Erlass des Großherzogs eigens die Hoffähigkeit verliehen wurde. Die daraus resultierenden Aufgaben meisterte sie hervorragend: „Bei ihrer gesellschaftlichen Veranlagung gewöhnte sie sich leicht, den Pflichten der Repräsentation mit Sicherheit und Takt zu genügen, so daß diese ihr nicht ein Dienst, sondern ein Vergnügen geworden sind“, urteilte ihr Mann.
Mit dem Ende der Monarchie 1918 war auch die Zeit der Bälle im Ministerpalais vorbei. 1921 zog das Landesfinanzamt in das Gebäude ein, nach 1945 dann die Landesleitung der SED, später der Wirtschaftsrat des Bezirkes. Nachdem das ehemalige Domanialamt 2010 saniert worden war, bietet es heute der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Raum.
Katja Haescher