11.04.2025

Hausgeschichten

Eine Schweriner Institution

Hinter der Fassade des Schlosspark-Centers befanden sich einst die Stadthallen mit Platz für 2500 Menschen
Die Ansichtskarte zeigt Säle und Wandelhalle, von letzterer sind einige Elemente erhalten (sh. Bild oben).
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute hinter eine, hinter der viele Jahre gesellschaftliches Leben von Schwerin mit geschrieben wurde. Doch außer der Fassade ist von den einstigen Stadthallen nicht mehr viel zu sehen.

„Die Stadthalle – wer kanns vergessen? / Musik und Tanz und Licht und Flirt! / So mancher hat da schon gesessen, / vergaß die Welt – Du warst der Wirt!“ Dieses Gedicht schrieb 1953 ein gewisser Claus Clauberg – und Wirt August Jörg stellte es seinen Lebenserinnerungen voran.

Die Schweriner Stadthallen waren eine Institution. Und das an einem etablierten Platz: 1903 kaufte Jörgs Vorgänger, Gastwirt August Lau, hier die Marienhalle und nannte sie fortan Concerthaus Flora. Wenige Jahre später stand eben diese Flora in Flammen. Das war 1909. Das Gebäude gehörte zu diesem Zeitpunkt bereits Johannes Dürkop. Dieser ließ anschließend an der gleichen Stelle die Stadthallen mit zwei Sälen und Bühne errichten – der große Saal soll rund 1200 Menschen Platz geboten haben. 1919 übergab Dürkop das Etablissement an seinen Schwiegersohn August Jörg. „Sein sehnlichster Wunsch“, schreibt Jörg in seinen Erinnerungen, „sei damals in Erfüllung gegangen.“

Der Schwiegervater musste die Entscheidung nicht bereuen, denn Jörg hatte ein Händchen fürs Geschäft. Er führte es gut durch die Zeit nach dem Ers­ten Weltkrieg und die Inflation. Und man kann sagen: Alle waren da. Sportler, Theaterleute, Musiker trafen sich in den Stadthallen. Die Schneider veranstalteten eine Modenschau, die mecklenburgischen Friseure ein Schaufrisieren.
 
Das Wohl seiner Gäste lag dem Wirt am Herzen. Einmal war für eine Reisegesellschaft von 300 Personen, die durch Deutschland tourte, vom örtlichen Reiseveranstalter Speckerbsen-Eintopf bestellt worden. Als Jörg durch Zufall erfuhr, dass den Reisenden unterwegs bereits 70-mal Erbseneintopf serviert worden war, stellte er zur Erleichterung aller frische Gemüsesuppe auf den Tisch. Natürlich gab es zwischendurch auch kleinere Stolpersteine. Dazu gehörten Bemühungen von Abstinenzlern, die sich gegen den öffentlichen Alkoholgenuss aussprachen und ein Rundschreiben an deutsche Kliniken richteten – in der Hoffnung, Schwarz auf Weiß ein vernichtendes Urteil über das Trinken zu bekommen. Was kam, war ein Brief des Heidelberger Universitätsprofessors Erb, der schrieb: „Es mag sein, daß der Alkohol, den ich trinke, mein Leben verkürzt ... aber eins ist sicher, es nimmt mir am Ende etwas weg und auf dieses letzte schlechte Stück lege ich sowieso keinen Wert.“

Der Rheinwein floss also weiter in den Stadthallen, denn August Jörg reiste regelmäßig nach Wiesbaden und ins Rheingau. Er bot seinen Gästen immer nur das Allerbeste. 1928 wuchsen die Stadthallen ein weiteres Mal, als ein dritter Saal als Speise- und Tanzlokal für 600 Personen dazukam. Unterm Strich hatte die Lokalität damit eine Gesamtkapazität von 2500 Plätzen.

Auch als politische Bühne der Stadt spielten sie eine Rolle. Stadtarchivar Bernd Kasten hat sie als Ort des Reichstagswahlkampfes 1930 unter die Lupe genommen. „Die Stadthallen waren ein Ort politischer Meinungsbildung“, sagt er – und schließlich auch der Ort, an dem diese Diskussionskultur kippte. Als 1930 der Lübecker DVP-Mann und ehemalige Reichsfinanzminister Paul Moldenhauer hier um Wählerstimmen werben will, kommt er nicht zu Wort. Eineinhalb Stunden lang pfeifen, trommeln und brüllen NSDAP-Leute, um ihn zu übertönen. Die Mecklenburgische Zeitung wird später von „Terror niedrigster politischer Instinkte“ schreiben und der abgedankte Großherzog feststellen, dass das „Radautum der Nazis ein schlechtes Licht auf diese Partei“ werfe. Am 14. Oktober werden die Stadthallen zum Ort einer Saalschlacht zwischen SA-Leuten und Sozialdemokraten. Ausgefochten wird sie mit Biergläsern und Stuhlbeinen. Es gibt 30 Verletzte, mehrere Damen werden ohnmächtig. Von nun an wird nicht mehr miteinander geredet.

Die Politik ist auch danach immer gegenwärtig. Im Zweiten Weltkrieg verlieren August Jörg und seine Frau ihren 1921 geborenen Sohn, ihr einziges Kind. Das Haus wird 1942 zum Hilfslazarett, bevor es die Rote Armee im Juli 1945 beschlagnahmt. Zu DDR-Zeiten ist es Haus der Offiziere. Die kyrillische Inschrift steht an der Jugendstilfassade, an der jetzt Schlosspark-Center zu lesen ist. Mitte der 1990er Jahre müssen die Stadthallen dem neuen Einkaufscenter weichen. In der Filiale von New Yorker sind Elemente der einstigen Wandelhalle erhalten geblieben.

Katja Haescher