16.05.2025

Hausgeschichten

Nah am Wasser gebaut

Die Wohnhäuser auf dem Dwang entstanden in den 1930er Jahren – wie andere Siedlungen in der Stadt
Das Luftbild, noch ohne die neue Brücke, zeigt die Siedlung auf dem Dwang – und die Eisenbahnstrecke.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal auf dem Dwang, der erst seit knapp 90 Jahren bebaut ist, aber in der Geschichte der Stadt schon viel länger eine Rolle spielt.

In Schwerin baut man am Wasser. So ist es allgemein und auf dem Dwang in besonderer Weise. Die kleine Halbinsel ist von drei Seiten vom Ostorfer See umgeben. Auf alten Karten wird sie deutlich größer dargestellt – kein Wunder, machte doch die Eisenbahnlinie Mitte des 19. Jahrhunderts einen Strich durch die Landschaft.

Als nah bei der Stadt Schwerin liegendes Gebiet war der Dwang für die landwirtschaftliche Nutzung begehrt. Die Frage war nur: Wem kam sie zu? Denn über die Grenzen waren sich Stadt und Domanialamt, letzteres zuständig für den landesherrlichen Besitz, nicht immer einig. Doch wo gestritten wird, entstehen Akten und diese Akten machten es der Schwerinerin Elke Steinhausen möglich, bei ihrer Erforschung der Dwanggeschichte bis zu 300 Jahre in die Vergangenheit zu reisen.

Auch unter den Pächtern gab es Streit. Oder sie beschwerten sich, zum Beispiel darüber, dass die Hofjäger auf dem Dwang ihre Pferde weiden ließen. Beinahe hätte hier sogar eine Windmühle gestanden, denn ein gewisser Carl Helms trug sich 1873 mit entsprechenden Plänen. Als dann jedoch die Einwohner von Görries zeitgleich einen Straßenausbau forderten, setzte der Magistrat dies in eins: Müller Helms sollte jetzt deutlich mehr Silbergroschen berappen, da der Straßenbau ja auch durch das Gewerbe erforderlich würde. Eine Mühle wurde nicht gebaut und auch keine Straße. Das wurde zum Problem, als der Dwang schließlich bebaut wurde. Aber der Reihe nach.

Erst einmal wuchs Schwerin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Richtung Süden. In der Feldstadt entstanden mehrgeschossige Mietshäuser, deren Bewohner Gärten zur Selbstversorgung brauchten. Bestehende Pachtverträge auf dem Dwang wurden jetzt von der Stadt gekündigt, das Land in 79 Parzellen eingeteilt. Die Pacht für diese Parzellen konnten Interessierte ersteigern. Für die Nutzung machten die Ordnungsbehörden rigide Vorgaben. Wer dagegen verstieß, konnte den Garten meist gleich wieder vergessen.
Die Nazis beförderten dann nach ihrer Machtübernahme die Siedlungspolitik. Jetzt ging es darum, den Dwang zu bebauen. 1937 wurden von der Gemeinnützigen Baugenossenschaft „Selbsthilfe“ 59 Häuser auf der Halbinsel errichtet. Es war die gleiche Zeit, in der zum Beispiel auch Siedlungen in Neumühle und auf dem Sachsenberg entstanden. Die Häuschen ähnelten sich – auch darin dass sie vergleichsweise klein waren.

Dennoch mussten die meisten der Siedlungswilligen die Kosten fürs eigene Heim über Geldgeber wie zum Beispiel die „Ersparnisanstalt“ finanzieren. Die Kosten lagen zwischen 9.200 und 13.600 Reichsmark und waren für einfache Arbeiter nicht erschwinglich.

Federführend für die Umsetzung des Projekts wurde der Architekt Franz Theisen. Trotz aller Ähnlichkeit in der Ziegelbauweise gab es verschiedene Haustypen. Die A-Variante bot am meisten Platz, in erster Linie umgesetzt wurden B und C. Die Wohnfläche von knapp 54 Quadratmetern im Erdgeschoss war schon bei B nicht üppig, mit dem Dachausbau waren es am Ende zwischen 85 und knapp 90 Quadratmeter Wohnfläche pro Häuschen. Typ C brachte es auf rund 66 bis 80. Dennoch boten die neuen Häuschen nach dem damaligen Standard einiges an Komfort. Sie waren unterkellert und auch an die Abwasserentsorgung angeschlossen.

Kurze Zeit nach dem Einzug der neuen Dwang-Bewohner begann der Zweite Weltkrieg und so mancher der Männer hatte nicht lange in seinem neuen Häuschen gelebt. Nach dem Krieg ergab sich durch Mangel sowohl an Lebensmitteln als auch an Wohnraum neue Not. Im Juli 1947 wurden alle Dwang-Bewohner aus ihren Häusern ausgewiesen, in die jetzt sowjetische Offiziersfamilien einzogen. Zum Teil für einige Jahre: Erst 1950 kehrten die letzten Bewohner zurück.

Elke Steinhausen erinnert sich in ihrem Buch aber auch an viel Schönes – wie zum Beispiel die legendären Dwang-Feste. Heute gehört die Siedlung zu den beliebtesten Wohngegenden von Schwerin.
In jüngster Zeit hat der Dwang seinen Halbinsel-Charakter verloren. Die Brücke zur Krösnitz trägt zwar nur Radfahrer und Fußgänger, doch die einstige Sackgasse ist jetzt eine beliebte Durchzugsstrecke.

Katja Haescher