Hausgeschichten
Thomas Müntzer und Gans Berta
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute auf der Paulshöhe, wo ein einstiges Schulhaus das Landwirtschaftsministerium beherbergt.
Die mächtige Buche im Innenhof des Landwirtschaftsministeriums hat schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel – oder besser gesagt: auf dem Holz. Möglicherweise genossen ja einst in ihrem Schatten fröhliche Ausflügler im Biergarten des Restaurants Paulshöhe ein kühles Blondes. Die Gegend jedenfalls war Großherzog Paul Friedrich wie gemacht zum Lustwandeln erschienen, als er die Parzellen schlechten Ackerlandes an Oberst von Elderhorst verkaufte – unter der Bedingung einer nachhaltigen „Verschönerung der Umgebung“.
In Erinnerung an den 1842 gestorbenen Großherzog prägt der Oberst den Namen „Paulshöhe“. 1872 eröffnen eine Brauerei und ein Restaurant mit Biergarten, das 1908 zwangsversteigert wird. 1921 ist auch in der Brauerei Schluss.
Dann der 8. Mai 1953, Tag der Befreiung, ein neues Kapitel: Auf der Paulshöhe wird der Grundstein für ein Institut zur Ausbildung von Berufsschullehrern gelegt. Architekt ist Franz Schiemer, der nur wenige Monate später in Schwerin stirbt. Die u-förmige Anlage vereint Klassenzimmer und Hörsäle, ein Internat mit 300 Plätzen, Clubräume und einen Speisesaal mit Bühne und Küche. Die Bedingungen für die Studenten verbessern sich damit enorm: Nach der Verlegung von Greifswald nach Schwerin war das Institut zunächst provisorisch in sechs vertreut liegenden Häusern untergebracht gewesen.
Ausgebildet werden Ingenieurpädagogen, größtenteils für den Bereich Landwirtschaft, und Erzieher. Der Bezug zur Landwirtschaft wird schon vor dem Haus sichtbar. Da steht Thomas Müntzer – zumindest als Büste. Der Theologe des Reformationszeitalters war in der DDR als Revolutionär und Bauernführer in der Erinnerungskultur präsent. Ein Fresko „Müntzer spricht zu den revolutionären Bauern“ ist auch heute noch im Erdgeschoss zu finden. „Eine ehemalige Studentin erzählte bei einem Tag der offenen Tür, dass das Institut auch den Namen ,Thomas Müntzer‘ trug und dieser Name in Einzelbuchstaben über dem Eingang stand. Belegt ist das allerdings nicht“, sagt Claus Tantzen. Er ist Pressesprecher im Landwirtschaftsministerium oder wie es amtlich heißt: im Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt. Das Ministerium hatte das einstige Schulhaus 1991 übernommen. Noch keine 100 Jahre alt, steht das Haus bereits unter Denkmalschutz. Bereits im Foyer macht Claus Tantzen auf den Deckenleuchter aufmerksam, der zur Originalausstattung der 1950er Jahre gehört. „Ableger“ dieses Leuchters sind als Wandlampen an der Wand der einstigen Aula zu sehen, auf deren Bühne zu Zeiten der DDR auch Jugendweihen stattfanden. Heute ist hier unter schönster Stuckdecke die Kantine des Ministeriums.
Stucksäulen gibt außer dem Foyer auch noch im Erdgeschoss neben dem Müntzer-Fresko. Früher war hier eine gemütliche Aufenthaltsecke für Studenten. In den Wohnheimzimmern, sagt Claus Tantzen, muss es wiederum zu DDR-Zeiten fürchterlich kalt gewesen sein. Geheizt wurde mit Feinbraunkohle, die schlecht brannte und gut staubte. Heute beherbergen die Zimmer Büros, gewärmt von einer modernen Holzpelletanlage. Die spart, wie es sich für ein Klimaschutz-Ministerium gehört, im Jahr rund 100 Tonnen CO2. Das heutige Ministerbüro übrigens war einst der Fernsehraum des Wohnheims, in dem bestimmt so manches Mal heimlich das Westfernsehen angedreht wurde. Vielleicht schon wieder eine neue Geschichte?
Apropos Geschichte – eine wäre da noch: Für die Plastik der Gans, die heute den Rasen des Innenhofs schmückt, stand der Künstlerin Inge Jaeger-Uhthoff ein echter Vogel Modell. Gans Berta wurde dafür von einer Schweriner Schrebergärtnerin mehrfach in einem Sack ins Atelier transportiert – für das Tier wahrscheinlich eine viel beschnatterte Strapaze. Aber dafür ist Berta ja auch unsterblich geworden.
Katja Haescher