20.01.2017

Hausgeschichten PR-Anzeige

Wo früher die Gräfin wohnte

Was aus der Villa der Oberhofmeisterin Marie von Schwichelt in der Weinbergstraße 1 wurde
So präsentiert sich das Haus jetzt. Foto: S. Krieg
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die Villa in der Weinbergstraße 1.

„Sonnige Lage inmitten des Schloßparks, umgeben von Seen und Wäldern, 10 Minuten vom Stadtzentrum“ – so warb das Doktoren-Ehepaar Erich Rosenhain und Gertrud Rosenhain-Hammerstein Anfang der dreißiger Jahre in einem Prospekt für sein Sanatorium. Die Rosenhains hatten die Villa im Jahr 1931 erworben.

Aber das Schlossgartengebiet sollte ursprünglich gar nicht bebaut werden; die Großherzöge wollten das Areal jedenfalls nicht privatisieren – sie fürchteten um die landschaftliche Schönheit der Umgebung des Schlosses. Friedrich Franz IV. sah die Sache letztlich jedoch anders und erlaubte die Bebauung des damaligen oberen Teils der Hofküchengartens.
Das erste – und am besten gelegene – Grundstück erhielt die Oberhofmeis­terin Gräfin Marie von Schwichelt. Sie beauftragte den Münchener Architekten Paul Ludwig Troost, für sie dort ein schönes Landhaus zu errichten. Im Jahr 1907 wurde es gebaut, und die Gräfin wohnte bis 1924 in der prächtigen Villa.

Dann musste die Schwichelt wegen Geldmangels ihre Villa veräußern. Nächster Besitzer war Dr. Walter Rohardt. Nach einem Umbau, der wieder von Troost geplant wurde, eröffnete Rohardt hier 1925 unter dem Namen „Schloßpark-Sanatorium“ eine Heilanstalt für Nervenkranke.
Sechs Jahre später verkaufte er das Sanatorium dann an die Rosenhains. Sie behandelten hier nicht nur Nervenleiden, sondern unter anderem auch Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten und Magen-Darm-Störungen. Das Haus war modern und komfortabel ausgestattet, verfügte zum Beispiel über Telefon auf mehreren Zimmern, Höhensonne, Röntgenlabor und Zentralheizung. Behandelt wurden hier vor allem Privatpatienten.

Ab 1935 war das jüdische Ehepaar Rosenhain immer mehr Repressalien der Nazis ausgesetzt. Im Mai 1935 ließ Erich Rosenhain daher seine damals zwölfjährige Tochter Gabriele Hammerstein zu seinem Bruder nach New York bringen, er selbst emigrierte im Dezember 1935, seine Frau und seine beiden anderen Kinder folgten ein paar Wochen später. Rosenhain hatte die Kurklinik zuvor an den Arzt Dr. Meyersohn, ebenfalls ein Jude, übergeben, der kurz darauf aber auch vor den Nazis in die Ver­einigten Staaten floh.

Nachdem das Haus eine Weile leer stand, nutzte es ab 1938 die Geheime Staatspolizei (Gestapo) als Dienstgebäude – inklusive Gefängniszellen im Keller; 58 Beamte und Angestellte arbeiteten dort. 1945 führte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in der Weinbergstraße 1 ein Offiziersheim.

Ein Jahr später zog die sowjetische Treibstoffverwaltung in das Haus, und im Dezember 1947 übernahm die Generatorkraft Mecklenburg-Vorpommen GmbH die Immobilie als Lager- und Verwaltungsgebäude – inklusive einiger Tanks, was zu einer Kontaminierung des Bodens führte.
Von 1953 bis 1957 hatte die Bezirksleitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ihren Sitz in der Weinbergstraße 1. Nachdem sie ausgezogen war, wurde die Villa erstmal gründlich umgebaut und modernisiert, sodass sie wieder für medizinische Zwecke genutzt werden konnte: Im Mai 1958 eröffnete das Bezirkskrankenhaus dort seine Kinderklinik. Sie verfügte über sechzig Betten, und um die kleinen Patienten kümmerte sich zwei Ärzte und achtzehn Schwestern.

Kurz nach der Wende funktionierte die Stadt das Gebäude zu einem Asylbewerberheim um, aber schon ab Ende 1992 stand es leer.
Im selben Jahr wurde die Villa an die Rosenhain-Erbin Gabriele Hammerstein rückübertragen – eigentlich. Weil die Jewish Claims Conference das Haus ebenfalls beanspruchte und das zuständige Amt einen Widerspruch einlegte, musste die New Yorkerin weitere vier Jahre warten, bis die Immobilie tatsächlich in ihren Besitz überging. In diesem Zeitraum verfielen und verwahrlosten Gebäude und Grundstück immer mehr. Hammerstein stritt sich daraufhin mehrfach mit der Stadt vor Gericht.
Das Haus steht nach wie vor leer und rottet vor sich hin. S. Krieg