17.09.2021

Hausgeschichten

Wo die Direktion zu Hause war

Das frühere Bahnverwaltungsgebäude entstand von 1875 bis 1925 in mehreren Bauabschnitten
Der größte Teil des Gesamtkomplexes wurde 1898 bezogen. Das kleinere Stück hinten links neben dem Haupteingang entstand 1886.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: das ehemalige Reichsbahndirektions­gebäude am Bahnhof.

Manch einer, der den Hauptbahnhof über die Rückseite verlässt, fragt sich, was das eigentlich für ein schöner Prachtbau ist, der ihm dort vor Augen kommt. Wer genau hinschaut, erkennt zahlreiche Verzierungen und Ornamente, zum Beispiel ein geflügeltes Rad über den Haupteingangstüren, welches die Eisenbahn symbolisieren soll. Denn in diesem Gebäude wurde gut 100 Jahre lang das regio­nale Schienenverkehrswesen verwaltet – von der Mecklenburgischen Friedrich-Franz-Eisenbahn bis zur Deutschen Bahn.

Dass der Bau des Direktionsgebäudes in mehreren Abschnitten erfolgte, zwischen denen Jahrzehnte lagen, ist heute schwer bis gar nicht zu erkennen, so geschickt passten die Baumeis­ter die Gebäudeteile einander an. Am ältesten ist der südliche Flügel, also der Block ganz links um die Ecke (gegenüber Einmündung Severinstraße), der wohl um 1875 errichtet wurde. 1886 kam der erste Anbau dazu, der rechtwinklig angefügt wurde, dies allerdings nicht bündig, sondern etwas versetzt, so dass an der Straßen­ecke eine kleine, ungefähr quadratische Freifläche verblieb. Der Zugang erfolgte an dieser Stelle über eine Treppe und dann durch einen Laubengang ins Hochparterre.

Der nunmehr gut verdoppelte Raum für Büros genügte bald auch nicht mehr. Die „Großherzogliche General-Eisenbahn-Direction“ benötigte nach einer Verwaltungszentralisierung erheblich mehr Beamte und somit viel mehr Platz. 1896 begann der Bau des größten Teils des Direktionsgebäudes mit dem eingangs beschriebenen Hauptportal. Bis dahin befand sich dort eine Gartenfläche. Damit sich alles harmonisch fügt, ließ der Architekt, der preußische Regierungsbaumeister Ernst Möller, auch die kleine Freifläche an der Ecke der beiden älteren Häuser schließen, wodurch der Laubengang verschwand. Prächtige Turmspitzen zierten die Nord- und die Südflanke sowie das Hauptportal des repräsentativen großherzoglichen Baus.

Im August 1898 konnten die Mitarbeiter der General-Direktion dort endlich ihre neuen Büroräume beziehen. Und der Generaldirektor bekam eine Wohnung, „die mit insgesamt 47 Räumen nebst Aussichtsturm, Garten und Veranda fast den ganzen südlichen Flügel des Gebäudes einnahm“ (Peter Falow in „Schwerin und sein Bahnhof“).

Kein Wunder, dass das Direktionsgebäude schon bald erneut zu klein wurde. Daher wurde 1914 hinter dem Nordflügel noch ein Stück angebaut. Das ist der Gebäudeteil neben der heutigen Treppe, die zur Dr.-Külz-Straße hochführt. An diesen schließt sich über einen Verbindungsgang der letzte Erweiterungsbau an (heutige Adresse: Dr.-Külz-Straße 32/34). Er war 1925 fertig und hob sich schon damals durch seine verputzten Wände optisch vom Ziegelbau ab.

In dem  Fünfgeschosser befanden sich – neben verwaltungstechnisch genutzten Räumen wie der Fahrkartendruckerei – zwölf Dienstwohnungen und eine Waschküche. Die Bediensteten hatten es offenbar nicht so leicht, nach Hause zu kommen. So fragte die Verwaltung, die mittlerweile Reichsbahndirektion hieß, im April 1928 bei der Baubehörde nach, ob sie das Kesselhaus an der Nordseite überbrücken darf. „Der Zuweg [über den heutigen Platz der Freiheit] bedeutet einen ziemlichen Umweg beim Gang in die Stadt, er ist zudem bei nassem Wetter schlecht zu begehen.“ Heute ist die Überbrückung eine gern genommene Abkürzung.

In den 1930er Jahren wurde die eine oder andere Wohnung im Direk­tions­gebäude zu Büros umgebaut, unter anderem das frühere Domizil des Reichsbahndirektionspräsidenten Martin Dahse. Während des zweiten Weltkriegs diente der entsprechend befestigte Keller gleichzeitig als Luftschutzbunker.

Nach dem Krieg nutzte die Sowjetarmee kurzzeitig einen Flügel des Gebäudes. Zu DDR-Zeiten hatte die Reichsbahn­direktion Schwerin hier ihren Sitz. Außerdem kümmerte sich in dem Haus die zentrale Revision der Deutschen Reichsbahn um den Verkehr im Norden der DDR, die NVA organisierte von dort Militärtransporte, und die Reichsbahnsparkasse war im Direktionsgebäude ansässig.

In den 1960er Jahren veränderte sich das Antlitz des Hauses ein wenig, denn wesentliche Teile der Turmspitzen mussten abgebaut werden.

1992/93 wurde das gesamte Gebäude außen wie innen saniert – und damit herausgeputzt für die Deutsche Bahn, die 1994 aus der Fusion der Deutschen Reichsbahn mit der Deutschen Bundesbahn hervorging. Sie hatte in der alten Direktion bis zum Jahrtausendwechsel ihre Regionalbereichsleitung und ihren Konzernbevollmächtigten für MV untergebracht.

2015 verkaufte die Bahn die Immobilie an private Inves­toren. Das Unternehmen 4Q Invest aus Rostock hat jüngst immerhin schon das Gebäude in der Külzstraße 32/34 saniert und zu einem Wohnhaus entwickelt. Alle anderen Gebäudeteile stehen nach wie vor leer. S. Krieg