13.11.2020

Hausgeschichten

Vom Schießen zur Altenpflege

Das Gebäude des „Augustenstifts“ wurde früher von Schützenzünften genutzt
Die Frontseite des Gebäudes in der Stiftstraße
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: das Augustenstift.

Das hübsche Fachwerkhaus in der Stiftstraße ist das wohl markanteste Gebäude der Feldstadt, auf jeden Fall aber das älteste. Errichtet wurde es von 1694 bis 1697 als „Schießhaus“. Es konnte also von seinem heutigen Zweck kaum weiter entfernt sein, übten sich doch hier die Mitglieder des Schützenvereins im Umgang mit Handfeuerwaffen. Diese Schieß­übungen fanden allerdings hauptsächlich in dem angegliederten Laubengang statt. Ob und wenn ja, wie oft, auch drinnen der Abzug betätigt wurde, ist nicht überliefert.

Eine Gastwirtschaft befand sich ebenso hinter den Ziegelmauern – wahrscheinlich bereits Anfang des 18. Jahrhunderts, spätestens aber im 19. Jahrhundert. Gefeiert haben die Schützen damals schon gern, obgleich Branntwein und Feuerwaffen vielleicht nicht zwingend zusammengehören.

Vorher schon stand an dieser Stelle ein Schützenhaus, das jedoch dem Neubau weichen musste. Dieser wurde als 2-geschossiges, 14-achsiges Gebäude einzeln stehend gemauert. Die Bauleute setzten ihm ein klassisches hohes Walmdach auf, inklusive Gauben und mittigem Zwerchhaus. Unter anderem zwei Säle für feierliche Veranstaltungen wurden in dem Haus eingerichtet.
Ab 1850 schossen die Schützen dort nicht mehr; sie beugten sich den Beschwerden von Anwohnern, die das laute Geballer und den Pulverdampf satt hatten. Vielleicht deutete sich zu diesem Zeitpunkt auch schon an, dass das Haus demnächst ganz anders genutzt würde.

Im März kaufte Großherzog Friedrich Franz II. die Immobilie der Altstädtischen Schützenzunft ab und reichte sie direkt an den Oberkirchenrat weiter – mit der Vorgabe, dass das Haus mildtätigen Zwecken dienen solle. So schreibt der Regent in einem entsprechenden Erlass: „Wir … wollen dieses Gebäude zu einer Anstalt bestimmen, deren wesentlichster Zweck die möglichste Abwehr und Milderung der geistigen und leiblichen Noth hiesiger Hilfsbedürftiger sein soll.“

Außerdem verfügte der Großherzog, dass die von ihm gegründete dazugehörige Stiftung den Namen seiner Gemahlin Auguste Wilhelmine Mathilde von Reuß-Schleiz-Köstritz zu tragen habe. Da der volle Name eventuell zwei, drei Buchstaben zu lang gewesen wäre, gab er sich mit der Bezeichnung „Augustenstift“ zufrieden.

Von 1853 bis 1855 wurde fleißig umgebaut. Am 26. Mai 1855 folgte dann die feierliche Einweihung des Stifts, nicht zufällig am Geburtstag der Großherzogsgattin, die sich als Schutzherrin bis zu ihrem Lebensende 1862 immer sehr fürsorglich um das Augus­tenstift gekümmert haben soll. Zunächst fanden vier hilfsbedürftige Frauen dort ein Zuhause, Ende 1857 waren es schon zwölf, und kurz nach einem weiteren Umbau kamen noch vier Männer hinzu.
Um auch kranke, pflegebedürftige (nach damaligem Sprachgebrauch „sieche“) Menschen aufnehmen zu können, wurde mehrfach angebaut: 1860/61, als Flügel an der Nordseite, das „Frauen­siechen­haus“, 1873/74 an der südlichen Rückseite der „Marienflügel“, der 1878 zusätzlich ein Dachgeschoss erhielt. Jetzt gab es Platz für 72 Hilfsbedürftige. Die nächste Erweiterung war 1881 eine Kapelle, die sich ans „Frauensiechenhaus“ anschloss. Und letztlich kam 1905 als Südflügel auch noch ein „Männersiechenhaus“ hinzu.

Die Kapelle wurde im zweiten Weltkrieg zerstört, 1950 wurden die Reste abgetragen, auch der ebenfalls beschädigte Marienflügel wurde beseitigt. In den Folgejahren, zu DDR-Zeiten, litt die Bau­subs­tanz zusehends; ein geplanter Neubau verzögerte sich.

Mitte der neunziger Jahre kam er dann, 1995 war der moderne Komplex direkt hinter dem historischen Bau auf dem Areal des vorherigen Hausgartens fertig. Damit war auch der Weg frei für die Sanierung des ehemaligen „Schießhauses“ samt der beiden früheren „Siechenhäuser“, die von 1998 bis 2000 dauerte. Seitdem gibt es in dem alten Gebäude 25 Zweiraumwohnungen für betreutes Wohnen plus Veranda und Gemeinschaftsraum. Im Erdgeschoss ist außerdem ein ambulanter Pflegedienst eingezogen.

Zwar ist seit 170 Jahren kein Schusslärm aus der Feldstadt zu hören, dafür inzwischen regelmäßig wieder die bronzene Glocke, die täglich mittags und am Sonntag auch um 10 Uhr zum Gottesdienst läutet. Sie wurde 1925 in der Kapelle installiert und war nach dem Abriss derselben verschollen. Vor ein paar Jahren tauchte sie wieder auf und hängt nun außen am Südflügel unterm Vordach.S. Krieg