18.09.2015

Hausgeschichten PR-Anzeige

Vom Lyzeum zum Gymnasium

Viel Leben am Totendamm: Wo sich einst ein Friedhof befand, wird seit etwa 100 Jahren unterrichtet
Das Haupthaus der Schule wurde dem Direktor im März 1914 übergeben. Foto: S. Krieg
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: das Haus Goethestraße 74, in dem sich das Fridericianum befindet.

Vor gut einem Jahrhundert war dort ein Ort der Stille, und auch der Name des angrenzenden Weges zeugt noch von der früheren Nutzung des Geländes oberhalb der Goethestraße: Der Totendamm führte hoch zum Domfriedhof, von dem hinter dem Haus nur ein kleiner Teil der Begrenzungsmauer übrig geblieben ist. Mit der Ruhe war es dort spätestens  vorbei, als im Jahr 1911 die ersten Bauarbeiten für das gewaltige Gebäude – L-förmig, mit 114 Meter langem Hauptflügel – begannen.

Die Stadt Schwerin hatte 1910 die Gründung einer „Städtischen höheren Mädchenschule“ beschlossen, verbunden mit einem „höheren Lehrerinnenseminar“. Die gab‘s dann 1911 tatsächlich; erster Direktor war der Gymnasialprofessor Dr. Friedrich Schwencker. Allerdings lernten die Mädchen und jungen Frauen zunächst verteilt an mehreren Standorten in der Stadt. Seit Ende 1912 trug die Schule die Bezeichnung „Städtisches Lyzeum und Oberlyzeum nebst Seminar­übungsschule“. Am 19. März 1914 wurde endlich das neue Schulgebäude eingeweiht und vier Tage später dem Direktor übergeben. Von nun an lernten die Töchter bessergestellter Familien gemeinsam in einem Haus. Dass dies überhaupt existierte, hatten sie übrigens auch dem „Bürgerverein“ zu verdanken, der Unterschriften und Geld für den Bau sowohl bei Banken als auch bei Privatleuten sammelte.

Obgleich die Bauarbeiten erst 1911 begannen, wurde bereits 1909 ein Teil des Domfriedhofs eingeebnet. Was von ihm übrig blieb, grenzte an die Rückseite der Schule (die Fläche wird heute vom Schloss­park-Center genutzt). Und eine prächtige Eiche blieb zur Zierde des Schulhofs vor der Frontseite stehen.
Vollständig ausgebaut war das Schulhaus, das der damalige Stadtbaumeister Dr. Hans Dewitz im Stil der sogenannten Reformarchitektur entwarf, allerdings erst Ostern 1919. In jenem Jahr legten auch die ersten der insgesamt 817 Schülerinnen ihre Reifeprüfung ab.
Vier Jahre später wurde die Schule verstaatlicht, und seit 1931 hieß sie dann nicht mehr „Lyzeum“, sondern „Oberschule für Mädchen“. Spätestens 1936, als die Schule unter der Hakenkreuzfahne ihr 25-jähriges Jubiläum feierte, gehörten weit über 90 Prozent der Schülerinnen der NS-Jugendorganisation Bund Deutscher Mädel an.

Später beherbergte das Haus etwa anderthalb Jahre lang eine Frauenschule mit hauswirtschaftlichem Zug – bis Deutschland 1939 in den Krieg zog. Mit Lernen und Lehren war es oben am Totendamm dann erstmal vorbei, denn das Haus wurde zum Lazarett umfunktioniert. Das blieb es bis Ende des Krieges. Mitte/Ende der vierziger Jahre übernahm die Rote Armee das ehemalige Lyzeum und machte wieder eine Schule daraus: Die sowjetischen Offiziere schickten ihre Töchter dorthin.

Als das Gebäude nach dem Abzug der russischen Truppen im Frühling 1993 leer stand, beschlossen die Schweriner Stadtvertreter, dass das Fridericianum, das sich bislang am Pfaffenteich-Ost­ufer befand, dort einzieht. Ab Oktober 1994 wurde in der Goethestraße 74 zuvor nicht nur denkmalgerecht saniert – es gab in den runtergekommenen Innenräumen wirklich viel zu tun –, sondern auch angebaut: Im Februar 1998 wurde der naturwissenschaftliche Trakt, der direkt mit dem Hauptgebäude verbunden ist, nach etwa einjähriger Bauzeit fertiggestellt. Die integrierte frühere Turnhalle dient nun als Speisesaal. (Sport getrieben wird mittlerweile in der ebenfalls neu errichteten Halle an der Reiferbahn.) Selbst im Keller, der in den dreißiger Jahren teils als Jugendherberge genutzt wurde, befinden sich seither Klassenräume.

Die ersten elf Klassen des Fridericianums – insgesamt 280 Schüler der fünften bis siebenten Klassen – zogen bereits im November 1995 in ihr neues Domizil, wo sie zunächst nur zwölf Unterrichtsräume zur Verfügung hatten. Im Sommer 1996 war dann auch der Ostflügel fertig saniert, so dass ab dem folgenden Schuljahr die achten bis zwölften Klassen ebenfalls im neuen „Fritz“ unterrichtet wurden.
Derzeit besuchen knapp 800 junge Leute die Schule – Mädchen wie Jungen, und auch nicht nur aus „höheren“ Familien. Stefan Krieg