13.09.2024

Hausgeschichten

Vier Ziffern auf der Hauswand

In der Voßstraße ist eine einstige Katasternummer wieder zurückgekehrt
Klaus Schlüter zeigt die Schablone, mit deren Hilfe er wieder die Katasternummer auf der Fassade aufgetragen hat.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in der Voßstraße, wo Klaus Schlüter die Erinnerung an das alte Schweriner Kataster an seinem Haus wieder aufleben lässt.

Das Küsterhaus am Dom trägt als möglicherweise letztes Haus in Schwerin noch seine alte Katasternummer über dem Eingang. Mit Interesse, sagt Klaus Schlüter, habe er das in der Augustausgabe von Schwerin live gelesen. Und er hat eine Ergänzung: Sein Haus in der Voßstraße trägt ebenfalls eine Katasternummer – allerdings nicht noch, sondern wieder.

Vor zwei Jahren, sagt der Schweriner, sei das Gebäude 125 Jahre alt geworen. Für ihn war es eine Gelegenheit, die alten Bauakten hervorzuholen. Darin ist genauso wie in alten Adressbüchern die Katasternummer stets aufgeführt und der studierte Geodät wurde neugierig: Wo in Schwerin würden sich solche Nummern noch finden lassen? Fassadensanierungen und neue Farbe hatten die meisten Zahlen längst ausradiert; seit 1949 wurde die Systematik ohnehin nicht mehr genutzt. In der Schäferstraße entdeckte Klaus Schlüter an einem noch unsanierten Haus dann tatsächlich eine Katasternummer –und nahm mit dem Zollstock Maß. „Auf dieser Basis habe ich mir eine Schablone angefertigt und die Nummer auf meiner Hausfassade wieder aufgetragen“, sagt der 85-Jährige. Inzwischen hat er in der benachbarten Friedensstraße eine weitere Nummer entdeckt, die vermutlich unter einem Schild über der Einfahrt überdauert hatte.

Mit der „1334“ auf seiner Hauswand hat Klaus Schlüter ein Stück Hausgeschichte zurückgeholt. Es ist eine Geschichte, die eng mit der seiner Familie verbunden ist. 1937 kauften seine Großtante und seine Urgroßmutter die kleine Stadtvilla. Entstanden war sie wie viele andere Häuser in der Voßstraße Ende des 19. Jahrhunderts. Es muss eine große Baustelle gewesen sein, auf der viele Grundstücke von ortsansässigen Handwerkern bebaut und vermarktet wurden. „Das erklärt auch die Struktur der Doppelhäuser“, sagt Schlüter. Die Bauunterlagen seines Hauses tragen die Unterschrift des Bauunternehmers Prüter, der das Gebäude vermutlich nach der Fertigstellung verkaufte.
Klaus Schlüter wohnt seit 1947 in dem Haus. „Damals lebten hier fünf Familien mit zehn Erwachsenen und sieben Kindern“, erinnert er sich. Seine Mutter bewohnte mit drei Kindern ein einziges Zimmer.

Zum Glück schon mit einigen Annehmlichkeiten: 1915 war das damals knapp 20 Jahre alte Haus noch einmal modernisiert worden. Es wurden Wasserrohre gelegt und ein WC eingebaut – in der unteren Etage, dem „vornehmeren Bereich“. Nach 20 Jahren Wasser und nach 100 Jahren Telefon: Klaus Schlüter muss schmunzeln, wenn er an eine weitere Modernisierung denkt. In den 1930er Jahren tauchen im Adressbuch der Voßstraße die ersten Telefonnummern auf – dreistellig. 1940 haben immerhin schon 14 Leute in der Straße einen Fernsprecher; die Nummern in der Stadt sind inzwischen vierstellig. „Wir hatten zu DDR-Zeiten nie einen Anschluss“, sagt Schlüter. Das ändert sich, als der aktive Umweltschützer und Mitbegründer der Fachgruppe Stadtökologie 1990 als Vertreter der Grünen Liga am zentralen Runden Tisch sitzt und im Februar Minister ohne Geschäftsbereich wird: „Das Telefon kam jetzt innerhalb weniger Tage.“ Die Nummer: Sechsstellig.

Apropos Nummern. Neben den Katasterziffern auf der Fassade hat Klaus Schlüter, wo immer es möglich war, auch die historischen Strukturen dahinter erhalten: die Dielen, das Treppenhaus mit hölzernem Geländer und Lichtschacht, die massiven Holztüren. Auch von außen zeigt sich das Gebäude so wie auf einem in den 1930er Jahren entstandenen Aquarell, das bei den Bauakten liegt. Vielleicht mit einer kleinen Änderung: Links und rechts des Giebels hat der Schweriner Mauersegler-Brutkästen aufgesetzt. Insgesamt befinden sich vier Kästen am Haus, in zweien konnte er in diesem Jahr Brutpaare beobachten. Das Thema Stadtökologie lässt ihn nicht los.
Katja Haescher