Hausgeschichten PR-Anzeige
„Überaus freundlicher Anblick“
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die Turnhalle in der Lübecker Straße 46.
Körperertüchtung war einst vor allem Sache der Herren. In Schwerin gründete sich am 18. Oktober 1859 der Männer-Turnverein (MTV). Die Mitglieder stählten ihre Leiber mal hier, mal dort, so gut es ging. Mit seinem vierjährigen Bestehen fand der Verein aber die Turnhalle in der Amtstraße als seine Heimstatt. Nach fast 50 Jahren wurde es dort jedoch allmählich zu eng – und nicht nur das. „Die städtische Turnhalle an der Amtstraße genügte den modernen Anforderungen nicht mehr. Sie war am 24.?10.?1863 eingeweiht worden“, schreibt Hermann Milenz in seiner Chronik „Schweriner Zeitgeschehen von 1892 bis einschl. 1935“.
Es musste also ein neues Objekt her. So wurde in der Lübecker Straße 30A (heute 46) nach Plänen des Geheimen Oberbaurats Georg Daniel eine neue Sporthalle gebaut – und schließlich am 26. November 1905 eingeweiht.
Kurz darauf kaufte die Stadt dem MTV die alte Turnhalle in der Amtstraße für den Schulsport ab. Mit diesem Erlös finanzierte der Verein dann sein neues Domizil. Die Athleten trainierten dort nicht nur fleißig, sondern luden auch regelmäßig Gäste zu ihren Schau-Turnvorführungen ein.
Nach nur acht Jahren mussten die Sportler aber schon wieder aus der Halle ausziehen. Der 1. Weltkrieg hatte begonnen, und das Haus wurde „für Lazarettzwecke hergerichtet“ (Milenz), einige Wochen vorher diente es noch als Einkleidungsraum für die Soldaten. Zurück in ihre alte Turnhalle in der Amtstraße konnten die Vereinsmitglieder aber auch nicht, die war nämlich ebenfalls zu einem Lazarett geworden.
Erst am 19. Mai 1919 nahmen die Männer ihren Turnbetrieb in der Lübecker Straße wieder auf. Die „Mecklenburgische Zeitung“ (MZ) schrieb dazu: „Jetzt ist sie [die Halle – d. A.] vollkommen neu in Stand gesetzt. Sie bietet in ihrem neuen Gewande einen überaus freundlichen Anblick.“ Aber es gab auch Trauriges zu vermelden. So habe der MTV an die Zeitung geschrieben: „Mancher Platz in den einzelnen Riegen, den früher eifrige Turner ausfüllten, wird leer bleiben. Es war ihnen nicht beschieden, aus dem Kampfe fürs Vaterland zurückzukommen, oder sie mußten ihre gesunden Glieder opfern. Der Verein geht mit dem Gedanken um, in der Turnhalle zum Gedächtnis der gefallenen Mitglieder eine bleibende Erinnerung zu schaffen.“
Und so geschah es tatsächlich, allerdings nicht in der Halle, sondern davor. Am 8. Oktober 1920 war in der MZ zu lesen: „Das Denkmal, das der hiesige Männer-Turnverein seinen
43 gefallenen Mitgliedern am Eingang der Turnhalle an der Lübecker Straße errichtet, wird dem Straßenbild einen recht sympathischen Schmuck hinzufügen. Auf mehreren großen Steinblöcken ruht der gewaltige, 1½ Meter hohe und 50 Zentner schwere Felsen, dem die Namen der Gefallenen eingemeißelt sind.“ Eingeweiht wurde der Gedenkstein am 17. Oktober 1920.
Inzwischen war wieder der Sport-Alltag eingekehrt. Im Jahr 1927 dann doch eine spektakuläre Neuerung: Der Männer-Turnverein hatte auch eine „Körperschule (Gymnastik) für Frauen“ aufgenommen. Die sportlichen Damen übten „an jedem Mittwoch von ½7 - ½8“ in der Turnhalle Lübecker Straße „unter fachgemäßer Leitung“ (Zitate aus der MZ).
In den 1930er Jahren übernahm der Verein für Leibesübungen (VfL) Schwerin die Turnhalle. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Haus zur Schulturnhalle, außerdem trainierten dort in erster Linie Boxer, Leichtathleten und Volleyballer des SC Traktor Schwerin sowie Ringer. Und das Objekt war Domizil für das Bezirkstrainingszentrum Geräteturnen. Selbst Wettkämpfe unterschiedlicher Art fanden in der Lübecker Straße 46 statt, unter anderem Spiele der DDR-Liga Handball der Frauen.
1989 sanierte der Sportstättenbetrieb das Gebäude. Kurz darauf zog der wieder gegründete VfL Schwerin mit seiner Kunstturn-Abteilung ein, 1995 kamen die Sportakrobaten hinzu. Inzwischen nutzt der VfL die Turnhalle unter anderem auch für Aerobic, Thai Bo, Eltern-Kind-Turnen, Yoga und Seniorengymnastik. S. Krieg