Kultur
Damals Im Reich der Träume
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in einem Haus, das es nicht mehr gibt: Vor wenigen Tagen verschwand mit der Fassade der alten Schauburg ein Stück Kinogeschichte.
Als Ende September die Fassade der einstigen Schauburg in der Mecklenburgstraße verschwand, holten viele Menschen ihre Handys hervor. Nochmal ein Foto von einem Haus, mit dem viele Schweriner viele Erinnerungen verbinden. Das erste Date, das damals noch Rendezvous hieß, Treffen mit Freunden, die Versuche, mit 16 in einen P-18-Film zu kommen …
Ein Haus zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr. Der Kinosaal hinter der denkmalgeschützten Fassade war bereits vor einigen Jahren abgerissen worden. Jetzt galt das Mauerwerk als akut einsturzgefährdet und wurde deshalb abgebrochen. Damit ist ein Stück Kinogeschichte aus Schwerin verschwunden. Und nicht irgendeines – die Schauburg war das älteste Kino der Stadt und das älteste Mecklenburgs. Als sie entstand, hießen Kinos noch Lichtspielhäuser und waren etwas völlig Neues. Denn erst mit der fortgeschrittenen Stummfilmzeit entstanden für Filmvorführungen selbstständige, zweckgebundene Gebäude – ungefähr ab 1909. Als H. Vick 1913 in Schwerin seinen „Lichtkunst-Palast“ eröffnete, war er mit Schwerins erstem Kinozweckbau am Puls der Zeit. Schon der Name verrät, welche Weltläufigkeit und welcher Glamour jetzt in der mecklenburgischen Residenzstadt Einzug halten sollten. Der Name allerdings blieb nicht lange erhalten: 1914 übernahm die Lichtspiel-Betriebsgesellschaft Schwerin das Kino, das jetzt zu den „Apollo-Lichtspielen“ wurde. 1919 kaufte es Johannes Dürkop und Willi Dürkop machte schließlich die „Schauburg“ daraus.
Das war 1928. Am 22. September jenen Jahres hatte das Lichtspielhaus mit neuen Logen und einem Balkon geöffnet. 800 Plätze befanden sich darin und der von vorn nach hinten ansteigende Fußboden bot von jedem dieser Sitze freie Sicht auf die Leinwand. Projektiert hatte den Umbau der Architekt Erich Bentrup, der sein Know-how wenige Jahre später auch ins Schweriner Capitol einfließen ließ. Auch das Capitol gehörte Dürkop, der sich damit in Schwerin ein Kino-Imperium aufbaute.
Allerdings endete diese Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Im August 1945 war die Schauburg wiedereröffnet worden, „Kino-Kaiser“ Dürkop allerdings wurde wie viele andere Kinobesitzer enteignet. Am 15. Mai 1948 gelangte die Schauburg in Volkseigentum – und in die Verwaltung der Stadt Schwerin.
Wie schon zuvor wurde an Schwerins ältestem Kino auch in den Folgejahren immer wieder gebaut. Bereits 1947 war die Bühne für Theater- und Varieté-Veranstaltungen vergrößert worden. 1950 erhielt die Schauburg bei einer Renovierung eine neue Bestuhlung mit nun 740 Plätzen. Der nächste Umbau dann 1958: Bei dieser Renovierung büßte der Saal den Balkon ein. Der gleichmäßig ansteigende Zuschauerraum verfügte nun stattdessen über einen unteren Teil mit 285 Plätzen und einen oberen mit 222. Neun Monate mussten Schweriner Filmliebhaber damals warten, bis sie nach der Renovierung in den Genuss modernster Kinotechnik mit Totalvision und Raumklang aus zehn Effektlautsprechern kamen. Kostenpunkt des Umbaus: 520.000 DM. Damals erhielt die Außenfassade der Schauburg von Architekt Hermann Struve auch das gewellte Vordach, das beim Anstehen an der Kinokasse und beim Betrachten der Schaukästen Schutz bot.
Auch abseits des Kinos machte die Schauburg Schlagzeilen. Auf einer Stadtverordnetenversammlung am 28. Oktober 1948 hatten SED und FDJ mit einem Antrag zur Umbenennung von Bismarckstraße und Bismarckplatz eine Niederlage einstecken müssen. Am 11. November fand in der Schauburg – und damit in eben jener Bismarckstraße – eine Jugendkundgebung statt. Die 800 Teilnehmer forderten die Umbenennung in Straße der Nationalen Einheit, was 1950 schließlich geschah – bevor sich die Schauburg dann ab 1971 in der Hermann-Matern- und ab 1991 in der Mecklenburgstraße befand.
Allerdings nicht lange: Die Marktwirtschaft brachte für das traditionsreiche Kino das Aus. Am 15. Oktober 1995 lief mit „Die Brücken am Fluss“ der letzte Film. Nach einem kurzen Intermezzo als Schnäppchenmarkt stand das Gebäude leer. 2007 wurde die gewölbte Überdachung in der Mecklenburgstraße abgenommen, die wie der Schriftzug „Schauburg“ zuvor noch lange auf die einstige Nutzung als Kino hingedeutet hatte. Jetzt gibt es nur noch Erinnerungen – und eine Baulücke.