12.09.2025

Hausgeschichten

Büros hoch über dem See

Wirtschaftsministerium wurde in den 1950er Jahren als Landesparteischule gebaut – in Rekordzeit
Der zweigeschossige Eingangsbereich vor der breiten Treppe vermittelt einen monumentalen Charakter.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Johannes-Stelling-Straße 14, in der das Wirtschaftsministerium einen guten Blick über die Stadt gewährt.

Es war ein Bauplatz vom Feinsten: gleich hinter dem Hippodrom in den Ausläufern des Schlossgartens, zwischen Faulem und Ostorfer See auf einer Anhöhe vor hohen Bäumen. Den Park hatte Peter Joseph Lenné zwischen 1840 und 1857 nach Osten und Süden hin erweitert und ihn im Geist der Romantik als Landschaftsgarten in die bestehende Umgebung 
gefügt. 1951 war dann mit Romantik und dem Bestehenden erst einmal Schluss. Jetzt ging es hier um den Marxismus-Leninismus und darum, Menschen in ihrer Weltanschauung auf den richtigen Kurs zu bringen.

Dafür entstand hoch über dem Faulen See ein monumentales Gebäude als Landesparteischule der SED. Die Architekten Franz Schiemer und Heinrich Handorf hatten den fünfgeschossigen Bau mit der imposanten zweigeschossigen Eingangssitution mit der Vorgabe entworfen, dass sich darin „die marxistisch-leninistische Auffassung von der Architektur ... widerspiegeln“ müsse.

Die postulierte Überlegenheit der Arbeiterklasse zeigte sich zumindest beim Bau: In nur sieben Monaten standen Unterrichtsgebäude und Internatstrakt, dafür malochten die Beteiligten aber auch im Zweischichtsystem. Sogar eine Dampflok wurde herangeschafft, um die erste Winterbaustelle Mecklenburgs zu heizen. 

Die Baukosten jedoch sprengten dann jeden Plan: Aus den ursprünglich vorgesehenen 2,7 Millionen DM waren bei Fertigstellung 4,2 Millionen geworden. Gründe dafür sollen unter anderem fehlende Kostenvoranschläge und Verträge, aber auch die Verwendung von höherwertigen Materialien gewesen sein – von der überdimensionierten Bauweise ganz zu schweigen.

In der Eingangshalle stoßen Besucher auch gleich auf Marmor. „In diesem repräsentativen Bereich mit Aula-Charakter sammelten sich die Schüler vor dem Hörsaal“, sagt Markus Rittner, der das Referat I im Wirtschaftsministerium leitet. Im Hörsaal sind die Stufen noch vorhanden. Anstelle der Sitzreihen, auf denen die künftigen Parteikader unter anderem Vorlesungen zur Geschichte der ­KPdSU lauschten, stehen heute Aktenregale. Das einstige Auditorium wird als Archiv genutzt. Lange währte die Zeit der Partei­schule nicht: Schon im Dezember 1952 war Schluss, ab 1956 diente das Gebäude der Ausbildung von Funktionären in der sozialistischen Landwirtschaft.

Die Agrar-­Ingenieur-­Ökonomen schlossen ihr Studium mit dem Staatsexamen ab. „Es soll damals sogar ein Jagdzimmer mit Trophäen gegeben haben“, sagt Markus Rittner. Ob die Geschichte von der Kegelbahn im Keller stimmt – wer weiß. Fest steht aber, dass die Studenten die Umgebung der Schule kaum verlassen mussten: Es gab eine eigene Wäscherei, eine Schneiderei und auch einen Kindergarten.

Nicht zu vergessen die Mensa. In diesem Saal befindet sich eine der schönsten Kantinen in Schwerin, mit Kronleuchtern über den Tischen, hohen Fenstern und einem gewaltigen Gemälde mit einer Szene aus der sozialistischen Landwirtschaft.

Darüber hinaus ist das Haus natürlich an die Anforderungen eines modernen Verwaltungsgebäudes angepasst: Seit dem 
1. Januar 1991 wird es als Wirtschaftsministerium genutzt, unterschiedliche Ressortzuschnitte bedingten in dieser Zeit auch immer wieder wechselnde Namen. Geblieben ist die einzigartige Lage über dem See. Die Mitarbeiter schauen aus ihren Büros ins Grüne, wer bis in den fünften Stock steigt oder fährt, hat den schönsten Blick. 

Apropos schöner Blick: Am 28. September lädt das Haus zu einem Tag der offenen Tür, dann werden auch Führungen durch das Gebäude angeboten. Anmeldungen sind unter der Adresse regierung-mv.de/tdot möglich.

Katja Haescher