14.08.2020

Hausgeschichten

Siedlung zweckmäßiger Art

Das Quartier Ziegelhof Lankow war früher eine Wohnanlage für Bedürftige
Vom alten Ziegelhof ist nur noch das Gebäude mit der früher einzigen Zufahrt übriggeblieben.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: der Ziegelhof in Lankow.

„Als Obdach für Sie und Ihr Kind wird Ihnen ab 22.2.1945 eine Unterkunft in Lankow, Ziegelhof 34, zugewiesen“, schrieb die Ortspolizeibehörde an die Schwerinerin Emma E. Nur wenige Tage später zog Emma aber wieder aus. Ob ihr die Tagesmiete von 50 Reichspfennig pro Tag zu hoch war oder ihr das Verbot, in der Unterkunft Vieh zu halten, nicht passte?

Vielleicht lag es doch eher an der mangelnden Lebensqualität auf dem Ziegelhof. „Bei dem herrschenden Gestank war es oft unmöglich, die Fens­ter zu öffnen [die Siedlung befand sich neben dem städtischen Müll­abladeplatz – d. A.], Aschenstaub legte sich über die ganze Siedlung und die Zahl der Ratten überstieg die der Hühner bei weitem. (…) Die Dächer waren undicht, die Schornsteine schadhaft und die Mauern feucht.“ (Dr. Bernd Kasten, „Wohnungsbau und Stadtplanung in der Gauhauptstadt Schwerin 1933-1942“ in „Nationalsozialismus in Meck­lenburg und Vorpommern“).
Ursprünglich sollten auf dem Areal im Nordwesten Schwerins Polizei­unterkünfte entstehen. Letztlich wurden in den insgesamt 50 Wohnungen mit jeweils etwa 50 Quadratmetern Wohnfläche jedoch sozialschwache Bürger untergebracht.

Den Bau übernahm die Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Schwerin, die der Stadt das ungefähr 24.500 Quadratmeter große Grundstück Ende 1937 abkaufte. Da war das Baugeschehen bereits im vollen Gange, theoretisch waren die Unterkünfte sogar fast fertig. Schon am 1. Januar 1938, teilte die Baugesellschaft mit, könnten die Wohnungen bezogen werden.
Ein Autor der Mecklenburgischen Zeitung schrieb in der Ausgabe vom 31. Dezember 1937 über den Ziegelhof: „Eine Siedlung ganz eigenartiger und vor allen Dingen äußerst zweckmäßiger Art liegt rechts von der Straße nach Grevesmühlen: Die Siedlung für die Bedürftigen, von der der Gauleiter und auch Oberbürgermeister Timmermann so oft sprachen. Sie ist in sich geschlossen, die Häuser sind einfach und klar gebaut, 50 Familien werden hier in absehbarer Zeit untergebracht.“ Letztlich war der Bau der acht Wohnhäuser doch erst im Mai 1938 abgeschlossen.
Der Ziegelhof war komplett von einer Mauer umgeben. Es gab lediglich einen einzigen Zugang – über das Eingangsportal, das heute noch existiert. Jedoch befindet sich dort anders als in den Anfangszeiten keine Polizeiwache mehr.

Ab August 1940 wurde das Gelände für einige Zeit parallel als Kriegs­gefangenenlager genutzt, zuerst waren hier französische Soldaten einquartiert, später sowjetische.
Ebenfalls Anfang der 1940er Jahre gab es auch einen Kinderhort. Im August 1941 wurden im Hort Kohlebade­öfen für die Mädchen und Jungen aufgestellt. Leider traten schnell Probleme auf. So litt die Einrichtung an Wassermangel, weil eine Leitung außer Betrieb genommen wurde.

Zuvor sorgte sich der Leiter des Kreisamtes der Volkswohlfahrt bereits aus anderen Gründen um das Wohl der Kinder im Ziegelhof. Im April 1939, nach mehreren Besuchen in der Siedlung, schrieb er an den Stadtbaurat Warnick: „Das zu enge Zusammen­leben, insbesondere das Zusammenschlafen vom Kindern und Eltern in einem Raum, bedeutet eine große sittliche Gefahr für die Kinder. Nach meiner Überzeugung ist es nicht länger zu verantworten, hier tatenlos zuzusehen. Wohl handelt es sich hierbei nicht um besonders hochwertige Glieder der Volksgemeinschaft. Es muss aber unter allen Umständen vermieden werden, dass die Kinder dadurch restlos verdorben werden, dass sie dauernd Dinge hören und sehen müssen, die für Kinder nicht bestimmt sind.“

Nach dem Ende des Krieges und des Nationalsozialismus übernahm die „Neue Heimat“ als Nachfolger der Kleinwohnungsbaugesellschaft den Ziegelhof. Der damalige Oberbürgermeister Christoph Seitz gab den Bewohnern im Mai 1947 gleich mal eine Hausordnung für das nun „Wohnheim Ziegelhof Schwerin-Lankow“ genannte Quartier an die Hand. In der Einleitung heißt es: „Der Ziegelhof war früher eine Unterkunft, die in einem sehr schlechten Ruf stand. Heute ist es jedoch ein Wohnheim für Umsiedler und Ausgebombte und hat mit der ursprünglichen Verwendung nichts gemein.“

Aber so ganz hatte man die alten Erfahrungen wohl nicht abgehakt, war  doch in Punkt 9 der Hausordnung sicherheitshalber unter anderem festgelegt: „Wer für die Folge Müll, Abfälle und sogar Kot zum Fenster herauswirft oder an anderen hierfür nicht bestimmten Plätzen auch in der Umgebung des Wohnheimes ausschüttet, muß im Interesse der Gesundheit bestraft werden.“

Wie streng sich die Bewohner daran gehalten haben, lässt sich nicht mehr sagen. Zu DDR-Zeiten genoss der Ziegelhof jedenfalls – ob zu Recht oder zu Unrecht – kein hohes Ansehen. Inzwischen befindet sich dort, an der Medeweger Straße, eine nette kleine Wohnsiedlung. Die acht bestehenden Häuser wurden in den 1990er Jahren abgerissen und durch fünf moderne Reihenhäuser ersetzt. Der neue Ziegelhof war im Juli 2000 komplett bezugsfertig. Schon ein kurzer Blick auf die Siedlung verrät: Mindes­tens Punkt 9 der Wohnheim-Hausordnung wird von den Bewohnern genau beachtet. Emma E. hätte es hier bestimmt gefallen. S. Krieg