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Schwerins Kommodenhäuschen
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Buschstraße 15, wo ein kleines Fachwerkhaus den Laden der Kunstdrechslerei Zettler beherbergt und gleichzeitig beliebtes Fotomotiv vieler Schwerin-Besucher ist.
Der Schwede hat einen guten Überblick. Sein Kopf befindet sich im Giebel des Fachwerkhauses in der Buschstraße 15, direkt unter der Wetterfahne mit der Jahreszahl 1698. Wer jetzt „Alter Schwede!“ denkt, liegt allerdings etwas daneben. Denn der hölzerne Kopf schmückt erst seit dem 20. Jahrhundert den Giebel. „Den hat Herr Michaelis dort anbringen lassen, der bis nach dem zweiten Weltkrieg eine Weinhandlung in dem Gebäude betrieb“, sagt Carl-Heinz Zettler. Der Drechslermeister ist Ur-Schweriner und kennt die Stadt und ihre Geschichten wie kaum ein Zweiter. Seit vielen Jahren ist das Haus in der Buschstraße 15 Zettlers Ladengeschäft.
Der 84-Jährige kann sich noch gut daran erinnern, dass er den Standpunkt mit Bedacht wählte. „In den Engen Straßen herrschte immer viel Kommen und Gehen, da zahlreiche Schweriner diese Verbindung zwischen Marienplatz und Theater nutzten“, sagt er. 47 Quadratmeter hat der kleine Laden, in dem Zettlers noch heute Kunstvolles aus ihrer Werkstatt anbieten. Zu DDR-Zeiten hätte die Verkaufsfläche doppelt und dreifach so groß sein können: Die Kunden rissen dem Handwerker Gedrechseltes förmlich aus den Händen. „Bis nach draußen auf die Straße standen die Menschen Schlange“, erinnert sich der Meister. Aber mehr als arbeiten konnten die Angestellten der Drechslerwerkstatt nicht und natürlich ließ sich auch das kleine Haus in der Buschstraße nicht größer machen.
Die Wohnung über dem Laden zählt allerdings einige Quadratmeter mehr als das Geschäft zu ebener Erde. Grund dafür ist eine Auskragung, also das Vorspringen des oberen Stockwerks, zur Engen Straße hin. In Schwerin ist eine derartige Auskragung etwas Besonderes. Anderenorts sind „überstehende“ Geschosse noch häufiger zu finden, sie schaffen in Fachwerkhäusern Platz für die gute Stube. „Außerdem wurde die Steuer nach der Grundfläche berechnet, so dass der Überbau auch hier einen Vorteil bot“, weiß Carl-Heinz Zettler. Wenn er die Räume im Obergeschoss betritt, muss er mit seinen 1,78 Metern vor jeder Tür den Kopf einziehen. Auch die Zimmerdecke lässt sich mit der ausgestreckten Hand berühren. Allerdings ist sie in der Stube etwas höher, als sie es zur Entstehungszeit des Hauses war. Dafür hatte Weinhändler Michaelis gesorgt, der während seiner Junggesellenzeit in der kleinen Wohnung lebte. Heute sind das Zimmer und die winzige Küche unbewohnt, Zettlers haben die Räume jedoch liebevoll möbliert.
Überall gibt es historische Aufnahmen des Fachwerkhauses, darunter auch eine Postkarte, die als Adresse die Wladimirstraße angibt. Dieser Name geht auf einen russischen Großfürsten zurück, der Marie von Mecklenburg, eine Tochter des Großherzogs Friedrich Franz II., heiratete. Die Nazis tilgten später Namen, die in Verbindung mit der großherzoglichen Familie standen, aus dem Stadtplan. Der slawische Name Wladimir gehörte natürlich dazu. Und noch ein dritter Straßenname, der älteste unter den dreien, taucht in der Geschichte auf: Faule Grube. So nannte man ursprünglich die Straße nach einem hier verlaufenden stinkenden Gewässer, in das die Leute Abfälle entsorgten. Entlang des Grabens reihten sich in den zurückliegenden Jahrhunderten zahlreiche Handwerkerhäuser. Auch im „Kommodenhäuschen“ - wie das Haus in der Nummer 15 von alten Schweriner genannt wird - wohnten und arbeiteten immer kleine Handwerker.
Wie der Name „Kommodenhäuschen“ entstand, ist nicht ganz klar. „Manche meinen, das Häuschen sieht aus wie eine Kommode, andere sagen, es sei so klein, dass nur eine Kommode hineinpasst“, erklärt Rainer Blumenthal vom Schweriner Stadtarchiv. Gebräuchlich ist in der Stadt auch der Name Zettlerhaus. Inzwischen gehört das markante Gebäude Carl-Heinz Zettlers Tochter Silke-Maria, die auch den Betrieb vom Vater übernommen hat. Damit besteht die Handwerkstradition der Zettlers in Schwerin seit 1857 ununterbrochen fort. Carl-Heinz Zettlers Großvater führte übrigens sogar den Titel Hofdrechslermeister: Als Heinrich zu Mecklenburg, Sohn Friedrich Franz II., die niederländische Königin Wilhelmina heiratete, machte er dem Handwerker das Angebot, ihn ins Nachbarland zu begleiten. Doch der war seinem Schwerin zu sehr verbunden - und lehnte ab. Aber das ist schon wieder ein anderes Stück Stadtgeschichte.