Hausgeschichten PR-Anzeige
Schatzkammer Bibliothek
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Johannes-Stelling-Straße, wo ein altes und ein neues Haus zu einer Schatzkammer des Wissens verschmelzen – der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern.
Dieser Gedanke kann einen Schreiber schon nervös machen: Von jeder im Land verlegten Drucksache wird ein Exemplar in der Landesbibliothek abgelegt und auf Film archiviert – geschätzte Haltbarkeit 500 Jahre. Und so heißt es nicht ohne Grund, wer schreibt, der bleibt: Die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern bewahrt in ihren Magazinen Wissen und Gedankengut aus Jahrhunderten.
Wenngleich, wie der stellvertretende Leiter Dr. Andreas Roloff einräumt, sie im Vergleich zu vielen Universitätsbibliotheken noch eine recht junge Sammlung ist – zumindest in einem Zeitverständnis, das in größeren Einheiten rechnet. 1779 begründete Friedrich der Fromme die herzogliche Regierungsbibliothek. In einem Katalog aus dieser Zeit sind fein säuberlich Bände und Folianten aufgelistet, von denen 3?950 noch heute im Bestand der Landesbibliothek zu finden sind. Insgesamt bewahrt die Einrichtung 730?000 Medieneinheiten, darunter auch Zeitungen und Zeitschriften.
Klar, dass es da schnell eng werden kann. Im Jahr 2004 zog die Landesbibliothek deshalb aus dem Seitenanbau des Doms an ihren heutigen Standort in der Johannes-Stelling-Straße. Und wenn die Mitarbeiter seitdem auch auf den Blick durch alte Bleiglasfenster, das Gurren der Tauben und den Klang der Glocken verzichten müssen, so winkte im Neubau das wahre Glück des Bibliothekars: viel Platz. Das neue Magazingebäude verfügt über drei Ebenen und ist in der Lage, mehr als eine Million Bände aufzunehmen. „Dazu kommt eine vernünftige Belüftung der Räume, so dass die Bücher auch fachgerecht gelagert werden können“, erklärt Dr. Roloff.
Von außen betrachtet ist die Bibliothek eine Synthese aus Alt und Neu. Zur Straße hin liegt die im Jahr 1899 im Neo-Renaissancestil errichtete Kaserne, die als Wohngebäude für verheiratete Militärangehörige diente. An sie schließt sich ein aus zwei ineinandergesteckten Quadern bestehender Neubau an, der von außen anthrazitfarben verkleidet ist. Ein rotes Band nimmt die Gestaltung der alten Artilleriekaserne auf, in deren Sockelbereich schwarz glasierte Ziegelbänder die Fassade schmücken. Verbindungsband im Innern ist der Fußboden, der sich in der gleichen Farbe aus dem alten in das neue Gebäude zieht. Das viele Glas und die warmen Farben machen die Bibliothek zu einem freundlichen Ort mit Wohlfühlfaktor, der sich auch gut für Ausstellungen und andere Veranstaltungen eignet. Hier stehen Besucher nicht in einem respektheischenden Gelehrtenrefugium, sondern in einem Haus, das mit modernen Arbeitsplätzen punktet. Und wenn der neue Anbau auch in erster Linie dem Platzbedarf geschuldet ist, so stellt er nach Meinung von Dr. Roloff auch etwas Symbolisches dar: das Band zwischen der Bewahrung der Tradition und der Vermittlung von Neuem.
Und was sind nun die größten Schätze in den Tiefen des Magazins? Für einen Bibliothekar zugegebenermaßen eine schwierige Frage. Auf jeden Fall, sagt Dr. Roloff, gehöre die Musikaliensammlung zu den wertvollsten Stücken. Beginnend mit dem Jahr 1700 bis 1850 ist eine nahezu vollständige Überlieferung von bei Hofe gespielter Musik erhalten. Und natürlich werden die alten Noten nach wie vor zum Klingen gebracht: Die Einspielung einer Kapitänsmusik von 1724 von Georg Philipp Telemann entstand nach einer Partitur aus der Schweriner Landesbibliothek. Es ist die einzige erhaltene Abschrift dieses Werks, die im Gepäck des Hamburger Musikers und Notenkopisten Peter Johann Fick nach Schwerin gelangte. Als dieser 1740 die Stelle als Schlossorganist antrat, brachte er weitere Notenabschriften mit – von denen sich eine 1989 als verloren geglaubtes Flötenkonzert von Vivaldi offenbarte.
Und das Sammeln geht weiter. Noch reicht der Platz, aber das, sagt Dr. Roloff, habe man Ende des 19. Jahrhunderts beim Umzug in den Kreuzgang des Doms auch gedacht. Zum Glück ist das neue Gebäude auf Zuwachs eingerichtet: Bei Bedarf könnte auf den Magazinanbau ein weiteres Geschoss aufgesetzt werden.Katja Haescher