14.05.2021

Hausgeschichten

„Rühmend hervorgehoben“

Die alte Artilleriekaserne, fertiggestellt 1862, wurde bis 1990 militärisch genutzt
Die einstige Artilleriekaserne mutet an wie eine Trutzburg, so war es vom Großherzog auch beabsichtigt.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die alte Artilleriekaserne in der Johannes-Stelling-Straße 9 - 11.

„Die Lage des Gebäudes in malerischer Rücksicht läßt übrigens gar nichts zu wünschen übrig“, schwärmte 1862 ein Autor des „Archivs für Landeskunde“. „Sie ist für die nähere und fernere Umgebung durchaus günstig, da sie eines Theils den nach allen Seite frontirten Bau überall vortheilhaft zur Ansicht bringt und anderen Theils die Umgegend selbst erheblich verschönert.“

Vor allem aber handelte es sich um eine Militäreinrichtung. Großherzog Friedrich Franz II. wollte eine solche Kaserne bereits 1848 bauen lassen; am 1. März jenen Jahres hatte er 18.000 Taler dafür zur Verfügung gestellt. Er ahnte wohl das Überschwappen der Revolution auf Mecklenburg. So geschah es, und der Plan wurde ad acta gelegt, aber der Großherzog behielt sein Vorhaben gerade unter dem Eindruck der Unruhen von 1848/49 im Hinterkopf.

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Soldaten in Schwerin bei Familien zwangseinquartiert. Die Pflicht, die Militärangehörigen niedriger Ränge bei sich wohnen zu lassen, wollten die Städter loswerden. Schwerin unterschrieb daher 1854 einen „Servisvertrag“, der dem Großherzog 12 Jahre lang jährlich 12.000 Taler zusicherte, damit dieser seine Soldaten zentral unterbringen konnte.

1855 beauftragte das „Großherzogliche Militair-Departement“ beim Militärbaumeister Ludwig Wachenhusen einen Bauplan für eine Artilleriekaserne. Wachenhusens Entwurf wurde zügig genehmigt, und 1856 begann die Errichtung der Kaserne. Der Architekt leitete den Bau als Mitglied einer „Baucommission“. Ihr gehörten auch der Obrist-Lieutenant Köhler als Vorsitzender des Baufonds sowie ein Major und ein Hauptmann der Truppenteile an, die später dort kaserniert werden sollten.

Bevor Ludwig Wachenhusen Großherzoglicher Militärbaumeister wurde, unterstützte er unter anderem 1845 Demmler beim Schlossbau, und von ihm stammt auch die Alte Wache am Schloss Ludwigslust, die 1853 gebaut wurde.

Die Artilleriekaserne in Schwerin wurde Ende 1861 offiziell übergeben; bis zum Frühjahr 1862 standen aber noch Restarbeiten an.

Ursprünglich war die Kaserne für 270 Soldaten ausgelegt, dann erhöhte das Militär-Departement auf 340 Mann. Inklusive Dachgeschoss waren sogar bis zu 430 Leute unterzubringen. In den Stuben der ersten Etage fanden jeweils 24 Soldaten Platz. Nicht nur Artillerie, sondern auch die Pioniere zogen dort ein. Die Offiziere nahmen in den Türmen Quartier. Zu der gesamten Anlage gehörten auch eine Reithalle, Ställe und Wagen­remisen.

Die Kaserne wurde teurer als gedacht. In „Militärbauten in Mecklenburg 1800 bis 1918“ schreibt Reinhard Parchmann: „Da die Bauunterlagen erst im Verlaufe der Arbeiten erstellt wurden, erwiesen sich die veranschlagten Kosten als zu gering. Zu Baubeginn ging Wachenhusen von 115.000 Talern aus, die nach Änderung der Baupläne im Sommer 1859 auf 223.000 Taler erhöht werden mussten.“

Aufwand und Kosten schienen sich gelohnt zu haben. Der Architekturkritiker des „Archivs für Landeskunde“ stellte jedenfalls auch noch fest, die innere Einrichtung des Militärkomplexes in Ostorf biete Vorzüge „im Vergleich mit den besten Kasernen unserer Zeit [1862 – d. A.].“ Er lobte besonders die Trennung von Wohn- und Schlafräumen sowie die „gesonderten Waschlocale“, welche sogar von ausländischen Offizieren, die die Kaserne besichtigten, „rühmend hervorgehoben“ worden seien.

In den Folgejahren wurde der Gebäudetrakt hin und wieder umgebaut und modernisiert: um 1900 Anschluss ans Schweriner Wassernetz (zuvor Wasser aus Brunnen und Zis­ternen), Anschluss ans Elektronetz um 1915 (bis dahin Petroleumlampen), 1930er Jahre Installa­tion von Innentoiletten und Waschräumen.


1938 erhielt die Militäreinrichtung zusammen mit der nebenan befindlichen neuen Artilleriekaserne und der früheren Batteriekaserne den Namen „Freiherr-v.-Fritsch-Kaserne“.
Anfang Mai 1945 fanden dort kurzzeitig ehemalige KZ-Häftlinge, Überlebende des Todesmarsches von Sachsenhausen, Unterkunft. Dann nutzte bis 1957 die Sowjetarmee die Kaserne (danach bis 1994 nur noch die ehemalige Batteriekaserne). Anschließend zog eine Einheit der Bereitschaftspolizei dort ein, auf die 1962 eine Flak-Abteilung und ein Transportbataillon der NVA folgten.

1990 übernahm die Finanzverwaltung des Landes das Gebäude in der Johannes-Stelling-Straße 9 - 11.
1999 begannen erste größere Sanierungen, 2002 dann die nächsten. Zwischendurch wurde in die Mauern der früheren Reithalle ein Depot­gebäude für das Archäologische Landesmuseum gebaut.

Die alte Artilleriekaserne zählt zum Residenzensemble, für das Schwerin die Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe beantragt hat. S. Krieg