18.10.2024

Hausgeschichten

Reliquie aus Rom für neue Kirche

Katholisches Gotteshaus St. Andreas im Mueßer Holz ist ein Bau aus DDR-Zeiten
Die katholische Kirche St. Andreas im Mueßer Holz zeigt die Architektur des 20. Jahrhunderts.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal im Mueßer Holz, wo ein modernes katholisches Gotteshaus von Kirchenneubauten des 20. Jahrhunderts erzählt.

Streng genommen steht die katholische St.-Andreas-Kirche im Mueßer Holz ja in der falschen Straße – bei Galileo Galilei. Niels Stensen, eine Ecke weiter, hätte besser gepasst: Der Naturwissenschaftler und Bischof kam 1685 als katholischer Seelsorger nach Schwerin und starb hier nur ein Jahr später. 1988 wurde er selig gesprochen, viele Gläubige wenden sich noch heute mit der Bitte um Fürsprache an ihn. Und Stensen ist in der nach seinem Wissenschaftler-Kollegen Galilei benannten Straße auch gar nicht fern: Eines seiner Gebete schmückt eine Glocke im Turm der St.-Andreas-Kirche, die dort 1983 zusammen mit ihren beiden Schwestern zum ersten Mal erklang.
Die katholische Kirche im Mueßer Holz gehört zu den jüngsten Gotteshäusern der Landeshauptstadt. Nachdem 1971 der Grundstein für den Großen Dreesch gelegt worden war, wuchs der Stadtteil schnell heran. Immer mehr Schweriner zogen hierher und 1975 wurde der Beschluss gefasst, im größtem Neubaugebiet der Stadt eine eigene katholische Gemeinde zu gründen. Die ersten Zusammenkünfte fanden noch in Wohnungen statt. Hier wuchs die Identität der jungen Gemeinde, die schließlich mit einer eigenen Kirche sichtbare Form erhielt.

Als Schutzpatron wählten die Gläubigen Andreas, einen der Jünger Jesu. Auf sein Martyrium verweist auch der Grundriss der Kirche: Würden die Geraden verlängert, entstünde die Form eines Andreaskreuzes. An einem solchen X-förmigen Kreuz soll der Apostel der Überlieferung nach im Jahr 60 gestorben sein. In Darstellungen ist er deshalb meist mit diesem Attribut zu sehen und auch eine Figur in der Schweriner Kirche zeigt ihn mit den beiden gleich langen, diagonal gekreuzten Balken.

Geweiht wurde das Gotteshaus im November 1983. Zwar stand die DDR-Führung der Kirche ablehnend gegenüber, dennoch gab es Kirchenbauprogramme – aus gutem Grund. Hier erschloss sich dem sozialistischen Staat eine wichtige Devisenquelle. Auch der Bau von St. Andreas wurde mit finanzieller Hilfe des Bistums Osnabrück finanziert. Dazu kamen die Eigenleistungen der Gemeindemitglieder, die das Grundstück urbar machten und Gruben für das Fundament aushoben.

Die Kirche ist ein Klinkerbau mit einem Glockenturm aus Beton. Ein Lichtband in der Fassade steht für die Kirchenfenster des 20. Jahrhunderts; in dem großzügigen Innenraum setzt sich das Konzept moderner Architektur in Form und Material fort. Modern heißt aber keineswegs kühl: „Gerade in der Weihnachtszeit entsteht durch die hohe Holzdecke eine besondere Atmosphäre“, schwärmt Pastoralreferent Matthias Bender.

Aus Beton bestehen auch Altarpodest und Altar. Letzterer musste als bereits fertig gegossener Block ins Innere des Gotteshauses bugsiert werden – im wahrsten Sinne des Wortes keine leichte Angelegenheit. Zum Glück wurde damals gleich nebenan die Straßenbahnlinie verlängert: Über geborgte Schwellen von der benachbarten Baustelle gelangte der künstliche Monolith an seinen Platz. Der Altar enthält eine Reliquie des Heiligen Andreas, die über Vermittlung des Bischofs Heinrich Theissing aus Rom nach Schwerin gelangte.
Die Gemeinde selbst finanzierte Orgel und Gestühl. Ein Teil der modernen Empore beschirmt einen Bereich innerhalb des großen Schiffs. Abgeschlossen wird er von einer grauen Wand, die eine Ikonostase bildet: Als in den 1990er Jahren viele Menschen mit russisch-orthodoxer Kirchenzugehörigkeit aus der ehemaligen Sowjetunion nach Schwerin kamen, bot ihnen St. Andreas vorübergehend eine Heimat.

Und so wie damals nimmt die katholische Gemeinde auch heute Anteil an dem, was im Stadtteil passiert. Deshalb ist die Kirche nicht von dem angeschlossenen Gemeindezentrum zu trennen. „Hier gibt es täglich Veranstaltungen wie zum Beispiel Deutschkurse für Neu-Schweriner und ein Begegnungscafé“, sagt Matthias Bender. Und natürlich ist St. Andreas nach wie vor Ort von Gottesdiensten: jeweils am Donerstag um 9 und am Sonntag um 11 Uhr.

Katja Haescher