14.06.2023

Hausgeschichten

Kein Gasthof "Ersten Ranges"

Blickfang am Ausgang der Puschkinstraße: Das Gebäude in der Schloßstraße 12 entstand nach Plänen von Georg Adolph Demmler.
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Das „Hotel du Nord“ in der Schloßstraße 12 wurde nur zehn Jahre lang bewirtschaftet

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Schloßstraße 12, von wo aus einst der Tourismus in Schwerin Aufschwung nehmen sollte.

„Ehemaliges Hotel du Nord“ steht an der Stecknadel auf Google Maps und darunter: „Vorübergehend geschlossen“. Wobei das Wort „vorübergehend“ hier ganz schön strapaziert wird: Das „Hotel du Nord“ war schon zu Zeiten der Erfindung des Internets lange Geschichte. Führt der virtuelle Stadtplan also in die Irre? Zumindest führt er in die Schweriner Historie – und in die der Bestrebungen, in der Stadt den Tourismus zu fördern. Der hieß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch Fremdenverkehr und genau den wünschte sich Großherzog Paul Friedrich für Schwerin. Immerhin war es ja nicht irgendein Ort: Der Großherzog hatte 1837 die Residenz hierher zurückverlegt und in der ganzen Stadt wurde gebaut. Ein „Gasthof ersten Ranges“ sollte deshalb in der Schloßstraße entstehen, wie Hofbaurat Georg Adolph Demmler später schrieb. Allerdings hatte der Fürst seinem Lieblingsarchitekten keine leichte Aufgabe gestellt: Das schmale Grundstück, direkt an der Einmündung der Königstraße – der heutigen Puschkinstraße – in die Schloßstraße gelegen, fiel im hinteren Bereich zur Klosterstraße deutlich ab. Der Bauplatz allerdings war frei, nachdem Apotheker Heinrich Bernhard Francke seinen Besitz verkauft hatte und mit der Offizin auf den Markt gezogen war, woraufhin die alte Francke‘sche Apotheke abgerissen wurde. Diese Details hat der Historiker und Archivar Friedrich Stuhr 1928 in einem Beitrag für die Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde festgehalten. Auch über die Umsetzung des Projekts ist hier einiges zu lesen: Um den Höhenunterschied auszugleichen, plante Demmler eine Überwölbung der Grundfläche, so dass zur Klosterstraße hin zwei Geschosse für Ställe und Wagen entstanden – sozusagen eine Tiefgarage fürs Pferd. Für das Hotel eine Win-win-Situation, „da doch damals alles mit eigenem Fuhrwerk kam“.
Die verputzte Fassade zur Schloßstraße wirkt repräsentativ – ist aber einem Fachwerkbau vorgeblendet. Neben dem Vorderhaus verfügte das dreigeteilteGebäude über einen Mitteltrakt und das Hinterhauszur Klosterstraße. Im Vorderhaus fanden Lese- und Billardzimmer, Speisesaal und in den oberen Etagen Fremdenzimmer Platz, im Verbindungsflügel wohnte der Wirt, außerdem entstanden hier weitere Fremdenzimmer und nach hinten heraus gab es neben Stall- und Wagenraum einen Heuboden sowie im zweiten Stock einen Tanzsaal mit Fenstern zum Hof. Dieser habe „Parkettfußböden und weiß gestrichene Wände“ gehabt, die Decken seien mit „Goldleisten, Rosetten und Malerei geziert“ gewesen. Allerdings: So erstklassig, wie sich der Großherzog das Etablissement gewünscht hatte, wurde es wohl doch nicht. „Dafür war die ganze Anlage dann doch zu einfach“, mutmaßt Stuhr. Das allerdings erlebte Paul Friedrich nicht: Der Großherzog starb 1842 nach nur fünfjähriger Regierungszeit. Das „Hotel du Nord“, über welches das Großherzogliche Geheime Ministerium 1843 einen zehnjährigen Mietvertrag mit dem Oberkellner Friedrich Carl Neudecker abgeschlossen hatte, stand bereits 1852 zum Verkauf.
Neudecker selbst hatte aufgrund des schlechten baulichen Zustands und der „eben nicht besonderen Lokalität“ von einem Erwerb abgesehen und bereits ein anderes Objekt ins Auge gefasst: den Gasthof „Stadt Hamburg“ in der Schloßstraße, auf den er den Namen „Hotel du Nord“ kurzerhand übertrug. Dieses Haus wurde später für den Neubau des „Nordischen Hofs“, des heutigen Finanzministeriums, abgerissen.
Das Gebäude des allerersten „Hotel du Nord“ dagegen blieb bestehen und wurde 1853 an einen Kaufmann veräußert. Das Erdgeschoss beherbergte in der Folge verschiedene Geschäfte und das ist auch heute noch so. Und wenn das Gebäude in seiner Geschichte auch nur die kürzeste Zeit Gasthof war, so nahm dieser einmalauch einen echten Prominenten auf: Der Autor Heinrich Hoffmann von Fallersleben, wegen demokratischer Umtriebe aus Preußen ausgebürgert, stieg hier 1844 auf dem Weg nach Holdorf ab. Dort in der Nähe von Brüel, fand der Demokrat und Dichter des Lieds der Deutschen für fünf Jahre Asyl in Mecklenburg.

Katja Haescher