16.02.2024

Hausgeschichten

Inspiration aus Apolls Heiligtum

Das Berliner Tor gehörte im 19. Jahrhundert zu den Zollstationen im Schweriner Akzisewall
Die Häuser haben die Form eines Antentempels – einen Bautyp, der zum Beispiel am Schatzhaus der Athener in Delphi zu finden ist.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal am Berliner Tor, das im 19. Jahrhundert einen der Durchgänge im Schweriner Akzisewall flankierte.

Potenzielle Steuerhinterzieher hatten schlechte Karten: Mit einer Ladung Waren über einen 3 Meter hohen Wall zu setzen, vor dem noch ein 2,70 Meter tiefer Graben gähnte, lag weder für Fuhrmann noch Pferd im Bereich des Möglichen. Da nahm man dann doch notgedrungen den Weg durch eines der Tore, an denen großherzogliche Beamte offiziell den Durchlass durch den Schweriner Akzisewall gewährten – nach Zahlung der Zollgebühr, versteht sich.

Ab 1839 wurde die Stadt zwecks Erhebung dieser Binnensteuer abgeriegelt. In vier Jahren entstanden zusammen mit dem Wall zehn Torhäuser, die einzeln oder paarweise an sechs Durchlässen standen. Großherzog Paul Friedrich, seit kurzem mit der Residenz wieder in Schwerin und den Kopf voller Pläne, konnte das Geld gut gebrauchen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Einkommenssteuer – sie wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt – und das am Wall eingesammelte Geld sollte zu einer der Haupteinnahmequellen des Landesherrn werden. „Mit einem Wegezoll hatte das nichts zu tun“, sagt Jörg Moll. Der Mitarbeiter im Stadtarchiv und Vorstandsmitglied im His­torischen Verein Schwerin ist tief in die Geschichte des Akzisewalls eingetaucht. Ergebnis ist eine Publikation, die in den kommenden Wochen erscheinen soll.

Protagonisten dabei: die Torhäuser. Sie veränderten Schwerin auch baulich und sind größtenteils heute noch erhalten: am Feldtor und am Güstrower Tor, am Wittenburger Tor und am Berliner Tor. Während der Artillerieoffizier Major von Huth den Wall projektierte, entwarf Demmler die Torhäuser. Der größte Anteil der Baukos­ten von rund 39.000 Talern entfiel dabei mit 8950 Talern auf das Berliner Tor. Hier entstanden zwei Gebäude in der Form dorischer Tempel. Die römische und griechische Antike war immer noch en vogue und Demmler holte sich seine Tempel­inspiration nicht irgendwo. Die Ähnlichkeit der Berliner Torhäuser mit dem Schatzhaus der Athener in Delphi ist augenfällig: eine Vorhalle mit zwei Säulen, der Fries mit Triglyphen, darüber das Giebeldach – mit dem Unterschied, dass die Cella keinen Kultraum, sondern die Schreibstube des Zolleinnehmers beherbergte.  Demmler setzte also auf Klassizismus – und schuf mit den beiden äußerlich gleichen Gebäuden eine eindrucksvolle Eingangssituation, die alle aus Richtung Süden, also aus Richtung Berlin, Kommenden empfing.

Zusammen waren Häuser und Wall ein ambitioniertes Projekt. Dabei hatte Major von Huth noch das große Glück, die natürlichen Gegebenheiten von Schwerin ausnutzen zu können – Seen sind ebenso gute Grenzen wie Erdwälle. Bei einem Probebau vor Beginn des Projekts schafften 3 Unteroffiziere und 24 Soldaten in 6 Tagen etwa 15 Meter Wall. Die nächste Zahl ist dann die 1863: In jenem Jahr fielen die Binnenzollgrenzen und der Akzisedamm war überflüssig. Zollgrenze wurde jetzt die Landesgrenze von Mecklenburg-Schwerin.
Und während das Wismarsche am heutigen Bürgermeister-Bade-Platz  und das Lübecker Tor am Platz der Freiheit die Straßen versperrten und in den 1890er Jahren weichen mussten,  begann für die anderen Zollhäuser ein neues Innenleben: Sie wurden jetzt für Wohnzwecke genutzt. Im Berliner Tor war das bis 1950 der Fall, dann beschloss der Stadtrat, hier das Archiv unterzubringen. Ins Haus mit der Adresse Platz der Jugend 14 zog das Stadtarchiv schon 1952 ein, vier Jahre später dann auch in die Nummer 12. 1997 gingen die Torhäuser an das Land zurück, das sie anschließend verkaufte.

Wer mehr wissen möchte: Die Publikation von Jörg Moll zu Torhäusern und Akzisewall ist in Kürze über den Historischen Verein und in einigen Schweriner Buchhandlungen erhältlich. 


Katja Haescher