17.08.2023

Hausgeschichten

Ins Gemachte Nest gesezt

Ulf Bähker freut sich, dass um den Schwalbenturm ein reger Flugverkehr herrscht.
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Turm mit Kunstnestern bietet Mehlschwalben ein Ausweichquartier / NABU-Gruppe erfasst Bestand

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: im „Schwalbenhaus“ in der Graf- Schack-Allee.

Ehrlich: Der Vorspann müsste in die- sem Fall etws modifiziert werden: Die Bewohner hinter dieser Fassade flie- gen nämlich ein und aus. Im Schwal- benturm in der Graf-Schack-Allee sind aktuell 36 Nester unter dem Dachüberstand von Mehlschwalben- paaren und deren Nachwuchs besetzt. Trotzdem ist die Geschichte des Schwalbenhauses auch eine von Men- schen – denn dass der Turm hier Platz gefunden hat, ist natürlich auch der Beziehung zwischen Zweibeinern und Vögeln geschuldet.

Die ist häufig kompliziert. Zwar freu- en sich viele an den Flugkünsten der Schwalben, aber ihre Nester sind an Häusern weniger gern gesehen. Klar: Hier fallen immer wieder Schmutz und Kot nach unten. Dennoch dürfen bestehende Schwalbennester nicht von der Hauswand entfernt werden: Sie stehen wie ihre Bewohner unter Naturschutz.

An der Graf-Schack-Allee ist der Schwalbenturm deshalb als Aus- gleichsmaßnahme für Nester entstan- den, die durch Fassadenarbeiten an der Staatskanzlei verloren gingen. Der Turm besteht aus einem Mast, der ein Dach trägt, unter dessen Überstand künstliche Schwalbennester ange- bracht sind. Die Nestschalen bestehen aus Holzbeton, die Größe ihrer Ein- fluglöcher ist genau abgestimmt. Sind diese nämlich zu groß, ziehen Spatzen ein – und die Schwalben fliegen einen Bogen. So mancher Artenschutzturm steht leer, weil irgendetwas nicht stimmt. „Anfangs haben wir das auch hier in der Graf-Schack-Allee befürch- tet“, sagt Ornithologe Ulf Bähker. Die Frage, woran das Desinteresse der Vö- gel liegt, ist dabei gar nicht so einfach zu beantworten. Der Turm neben dem Landeshauptarchiv verfügt sogar über Lautsprecher, um Schwalbenrufe abzuspielen. Ob diese Geräuschkulis- se am Ende der Grund dafür war, dass 2018 die ersten Mehlschwalben einzo- gen – wer weiß. Jedenfalls gab es in jenem Jahr die erste Brut, 2019 waren es bereits 46, 2022 dann 53. Diese Zählungen übernehmen ehrenamt- lich die Mitglieder der Schweriner Ornithologen-Gruppe des NABU un- ter Federführung von Claudia Antons.

In diesem Jahr hat eine erste Zählung 36 besetzte Nester in dem Turm erge- ben. Ohnehin scheint es kein gutes Schwalbenjahr zu werden. „Das Pro- blem ist, dass es so lange trocken war

und die Schwalben dann nicht an Nistmaterial kommen“, sagt Bähker. Dafür brauchen sie nämlich Pfützen, idealerweise mit etwas feuchtem Lehm, aus dem die Vögel dann Klümpchen für Klümpchen das Nest zusammenkleben. Das ist in der Stadt natürlich schwierig, da hier die meis- ten Flächen asphaltiert und lehmhal- tige Pfützen ohnehin selten sind. Deshalb wurde den Schwalben die Arbeit in der Graf-Schack-Allee abge- nommen – sie konnten sich sozusagen ins gemachte Nest setzen. Dass der Turm in der Nähe früherer Brutplätze steht, war sicher ein Pluspunkt für den Einzug der „Mieter“. Geht es den Schwalben gut, schaffen die kleinen Flugkünstler bis zu drei Bruten im Jahr. Dann kann sich auch der Be- stand wieder erholen, trotzdem geht der langfristige Trend nach unten. Drei Schwalbenarten gibt es in Meck- lenburg-Vorpommern – neben den Mehlschwalben sind es die Ufer- schwalben und die Rauchschwalben. Letztere ziehen gern in Ställe ein. Das Sprichwort „Schwalben bringen Glück“ kommt nicht von ungefähr, denn man kann wirklich von Glück reden, wenn es mit der Wohngemein- schaft klappt: Rein rechnerisch vertil- gen vier Mehlschwalbenjunge wäh- rend ihrer Nestlingszeit nämlich 150.000 Insekten, darunter zahlreiche Mücken.

Dass die Art in Europa in einem „ungünstigen Erhaltungszustand“ ist, liegt an immer weniger Insekten, feh- lendem Baumaterial für Nester und dem Verlust an Nistmöglichkeiten. Ein Weg, um auch bei hohen Ansprü- chen an Ordnung und Sauberkeit mit den Schwalben überein zu kommen, liegt in einem Kot- und Schmutzbrett, das unter dem Nest angebracht werden kann. Übrigens mit einer weiteren glücklichen Fügung: Die Hinterlas- senschaften können sogar als Dünger im Garten Verwendung finden.

Katja Haescher