Hausgeschichten
Im Schatten des Doms
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal am Dom, wo sich einst die Dienstwohnung des Domküsters befand.
Das Backsteinhäuschen steht im Schatten des Doms. Das ist nichts Außergewöhnliches, denn neben Schwerins größter Kirche, die zudem noch den höchsten Kirchturm Ostdeutschlands aufzuweisen hat, wirkt jedes Haus eine Nummer kleiner. Nichtsdestotrotz stecken auch im einstigen Küsterhaus Geschichten – die von einem Schweriner Kataster beispielsweise. Aber der Reihe nach.
Das Gebäude steht auf Grund und Boden, der im Mittelalter als eigenes Territorium mit eigener Gerichtsbarkeit galt. Um 1163 hatte Bischof Berno seinen Sitz von Mecklenburg nach Schwerin verlegt, wo Heinrich der Löwe 1171 den Dom stiftete und mit 300 Hufen Land bewidmete. Der Ort war zu diesem Zeitpunkt in eine gräfliche „civitas“ und einen geistlichen Bezirk geteilt. Während in der ersten Gunzelin von Hagen als Militärbefehlshaber Heinrichs das Sagen hatte, regierte im anderen Teil der Bischof. Zu seinem Territorium gehörte der Innenbereich rund um den Dom mit weiteren Gebäuden.
An der Stelle, an der heute das Küsterhaus steht, befand sich zu Zeiten des Domkapitels das so genannte „Kuhlengräberhaus“. Schließlich hatte der Dom seinen eigenen Kirchhof und der Totengräber in dem angrenzenden Häuschen eine Dienstwohnung. Von hier hatte er es nicht weit zur Arbeit.
Änderungen brachte das 18. Jahrhundert: Auf dem Kirchhof wurde es jetzt zunehmend eng und so entstand ein Begräbnisareal am Totendamm. 1863 öffnete der neue Friedhof auf dem Galgenberg, der heutige Alte Friedhof. Kurzum: Das „Kuhlengräberhaus“ hatte ausgedient und die Kirche vermietete es anderweitig. Baufällig geworden, wurde es schließlich im Jahr 1870 abgerissen.
An seiner Stelle errichtete Baumeister Georg Daniel 1872 das Küsterhaus als Dienstwohnung für den Domküster. Dies lag im Trend des 19. Jahrhunderts, als es in Schwerin zahlreiche Dienstwohnungen gab. „Schuldirektoren, Hausmeister und Minister, sie alle wurden vom ihrem Arbeitgeber mit ihrer Stellung angemessenem Wohnraum versorgt“, sagt Stadtarchivar Bernd Kasten. Im Vergleich zu anderen in dieser Zeit errichteten Pastorenhäusern, die über ein Studierzimmer und mehrere Kinderzimmer für die oft großen Familien verfügten, sei das Gebäude am Dom aber recht klein gewesen.
Allerdings waren die Vorstellungen von klein noch im 20. Jahrhundert andere als im 21. Auch das vergleichsweise bescheidene Küsterhaus bot 1946 immerhin Platz für die Wohnung des Küsters Wilhelm Juntow nebst Frau und Tochter im Erdgeschoss und für fünf weitere Personen in der ersten Etage.
Besonders interessant findet der Historiker Bernd Kasten die Zahl „581“, die über der Eingangstür zu finden ist. Die Hausnummer ist es nicht – so viele Gebäude sind in der Straße am Dom nicht zu finden. Stattdessen handelt es sich um eine alte Kastasternummer – laut Kasten möglicherweise sogar die letzte, die noch sichtbar an einem Gebäude in der Stadt angebracht ist. Im 19. Jahrhundert hatte jedes Schweriner Haus eine solche Nummer bekommen. Der Grund dafür war die 1832 erfolgte Vereinigung der Altstadt mit der Neustadt auf der Schelfe, die 1844 zur durch den Magistrat angeordneten Neunummerierung führte. Los ging es in der Werderstraße 2 mit der Nummer 1, bis schließlich in der Wittenburger Straße 54 die 1815 erreicht war. Dieses System blieb bis 1949 bestehen. „Historikern erleichtern die Nummern die eindeutige Identifizierung eines Hauses, was bei den häufig wechselnden Straßennamen und Hausnummern eine große Hilfe ist“, sagt Bernd Kasten. Die Adresse des Küsterhauses, das heute das Gemeindebüro der Domgemeinde beherbergt, lautet übrigens: Am Dom 4.
Katja Haescher