20.05.2014

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Holzbaukunst trifft Plattenbau

Russisch-orthodoxe Kirche auf dem Großen Dreesch für Gemeinde ein wahres Zuhause
Holzbaukunst und Zwiebeltürme: Die russisch-orthodoxe Kirche auf dem Großen Dreesch Fotos: Katja Haescher
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Hamburger Allee 120, wo eine kleine Kirche in traditioneller russischer Bauweise entstanden ist.

Die goldenen Zwiebeltürme leuchten im Sonnenlicht. Sie tragen das orthodoxe Kreuz, zu dem ein weiterer, schräger Querbalken gehört. Gleich nebenan reihen sich die Wohnblöcke der Hamburger Allee und dahinter grüßt der Fernsehturm. Auf den ersten Blick ist es ein Bild voller Kontraste: die kleine Holzkirche  wie aus einem russischen Märchen und die Plattenbauten aus sozialistischer Zeit. Aber beide sind Teil der Geschichte eines Stadtteils.
„Wir haben uns entschieden, hier zu bauen, weil die Kirche da sein muss, wo die Menschen sind“, sagt Priester Dionisij Idavain, Vorsteher der Gemeinde. Die meisten der rund 150 Mitglieder der Schweriner russisch-orthodoxen Gemeinde des Heiligen Großmärtyrers Dimitrios von Thesaloniki wohnen auf dem Großen Dreesch. Wer die Tür zur Kirche öffnet, betritt einen Raum, der das Draußen schnell vergessen lässt. Das Sonnenlicht fällt durch zwei bunte Fenster und mischt sich mit dem Schein der Kerzen, die Besucher entzündet haben. An der der  Eingangstür gegenüberliegenden Wand leuchtet das Gold der Bilder auf der Ikonostase, die den Kirchenraum vom Altar trennt. Diesen Bereich darf nur der Priester betreten.
„Der Anblick von Gold, Kerzen und Heiligenbildern fasziniert viele Besucher“, weiß Dionisij Idavain. Ihm ist es deshalb wichtig, den Menschen, die zur Besichtigung der Kirche kommen, Zeit zum Ein- und Ausatmen zu lassen, Zeit, sich umzusehen, den Raum auf sich wirken zu lassen. Was Besuchern ganz sicher auffällt: Ein Kirchengestühl gibt es in dem Raum nicht. Die Gläubigen feiern den Gottesdienst stehend, einige wenige Bänke entlang der Wand sind Alten und Kranken vorbehalten. Vier bemalte Holzsäulen tragen die Decke, die im Bereich des Turms an Höhe gewinnt und so einem prächtigen Leuchter Platz bietet. Die Ikone des Heiligen Dimitrios, dem die Kirche geweiht ist, hat einen Ehrenplatz vor dem Altar.
Mehrere Gemeindemitglieder sorgen dafür, dass das Gotteshaus regelmäßig für Besucher geöffnet ist. Zu ihnen gehört Larissa Rienecker, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Gern erklärt sie den Gästen in ausgezeichnetem Deutsch die Besonderheiten einer russisch-orthodoxen Kirche. Sie selbst ist noch heute jedes Mal ergriffen, wenn sie den kleinen Kirchenraum betritt. Mit dem Bau einer eigenen Kirche ist für die russisch-orthodoxen Christen in Schwerin und Umgebung ein sehnlicher Wunsch in Erfüllung gegangen. Priester Idavain erklärt es so: „Neun Jahre war die Gemeinde obdachlos. Wir waren Gäste bei der katholischen und der evangelischen Gemeinde und dafür werden wir bis ans Ende unserer Tage dankbar sein. Aber wie jeder Obdachlose träumten auch wir davon, ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben.“ Spenden machten es möglich, den Traum zu verwirklichen und so konnte 2012 die eigene Kirche geweiht werden. Das Gebäude besteht komplett aus Holz. „Die Kirchenbauer in Russland bedienten sich jahrhundertelang dieses Rohstoffs, weil das Land von riesigen Wäldern bedeckt war und heute noch ist“, sagt Dionisij Idavain. So klingt es ganz natürlich, dass auch das Holz für das Schweriner Kirchlein aus russischen Wäldern stammt. Spezialisten aus der Ukraine fügten die Stämme nach den Regeln traditioneller Holzbaukunst zusammen. So spürt jeder, der heute den Raum betritt, den würzigen Duft der Birkenstämme. „Holz ist lebendig, es atmet, es bewegt sich“, sagt der Gemeindevorsteher und fügt hinzu: „Durch das Material, dessen Herkunft und die Bauweise ist die Kirche ein wichtiges Stück Zuhause für die Menschen geworden.“  
Das kann Larissa Rienecker nur bestätigen.  „Sogar aus Stralsund und Rostock fahren Menschen hierher zum Gottesdienst“, erzählt sie. „Eine Frau von der Insel Rügen kam eine Zeit lang jede Woche, sie musste mitten in der Nacht aufstehen, um recht-
zeitig in Schwerin zu sein.“
Für Dionisij Idavain ist die Kirche aber noch mehr: Sie ist das Dach, das Menschen aus verschiedenen Ländern und Milieus vereint. Und sie soll keine Insel sein, sondern ein Ort des Dialogs. Auch aus diesem Grund ist das Kirchlein täglich von 13 bis 16 Uhr für Besucher geöffnet. Katja Haescher