21.01.2022

Hausgeschichten

Hier wohnt der Pastor

Das Fachwerkhaus Puschkinstraße 3 gehört seit 1771 zur Gemeinde „St. Nikolai“ (Schelfkirche)
Blick auf das Pfarrhaus vom Haupteingang der Schelfkirche
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: das Pfarrhaus in der Puschkinstraße 3.

Pastor Burkhardt Ebel hat seine Wohnung in der oberen Etage verlassen. Die Räume werden ab April dieses Jahres saniert. Im Erdgeschoss wohnt eine ältere Dame. Nebenan führt Lothar Dornau, Küster der Schelfkirche (Gemeinde St. Nikolai), sein Büro. Auch dort müssen die Handwerker ran. Eine sogenannte energetische Sanierung ist geplant; die Wände sind kaum gedämmt. Kein Wunder: Das Haus in der Puschkinstraße 3 stammt aus dem 18. Jahrhundert.

Vermutlich wurde es um 1750 gebaut. In dieser Phase blühte die 1705 gegründete Neustadt erst richtig auf. Die Pläne dazu stammten von Jakob Reutz. Der Ingenieur-Kapitän entwarf auch den Bau der Schelfkirche. Um profanere Bauten kümmerte er sich ebenfalls: Reutz plante standardisierte Haustypen für die Schelf­stadt – schlichte Fachwerkhäuser mit einer oder mehr Etagen. Sie sollten von den jeweiligen Bauherren entlang der drei Hauptachsen Apothekerstraße, Münzstraße und Puschkinstraße/Schelfstraße errichtet werden und in den größeren Querverbindungen. Ziel: ein einheitliches Stadtbild, das im angrenzenden Schwerin nicht zu sehen war.
Reutz starb, bevor seine Pläne umgesetzt wurden.

Bis 1747 wurde in der „Neustadt auf der Schelfe“ wenig gebaut – unter anderem mangels Geld. Dann kam Chris­tian Ludwig an die Macht. Der neue Herzog kümmerte sich um die Stadt vor den Toren des großen Nachbars (die heutige Schelfstadt vereinigte sich erst 1832 mit Schwerin).

Jetzt hatten Maurer und andere Handwerker ordentlich zu tun; so hatte es sich der Regent vorgestellt. Er wollte auch, dass sich viele Hand­werks­betriebe in der Schelfstadt ansiedeln. Das Haus in der heutigen Puschkinstraße 3 wurde aber als  reines Wohngebäude errichtet.

1771 ging es an die Kirchgemeinde. David Joachim Francke schreibt in seiner Chronik: „Oft hatte ich mich schon um eine größere Wohnung bemühet, aber es war alles vergeblich, weil die Kirche kein Geld hatte, ein anderes anzukaufen, und sonst keiner dazu was hergeben wollte. Da fügte es sich nun, dass dies Haus, welches einer Witwe Commissairin Behrens und ihren Kindern gehörte und sehr verfallen war, aus Dürftigkeit der bisherigen Besitzer von ihnen mußte verkaufet werden.“

Francke war von 1758 bis zu seinem Tod 1808 Pastor der Schelfkirche.

Das Pfarrhaus hatte sogar mal einen später prominenten Bewohner: Heinrich Seidel lebte von 1852 bis 1860 im Alter von 10 bis 18 Jahren als Pas­torensohn in dem Haus. Seidel verdiente sein Geld als Dichter und Ingenieur; er wurde vor allem für seine Kinderbücher bekannt. 1928 ließ die Stadt ihm zu Ehren eine Gedenktafel an die Fassade anbringen.

Vor etwa 100 Jahren beschäftigte die Gemeinde St. Nikolai erstmals eine Sekretärin. Sie bezog in der Puschkinstraße 3 ein Büro. Seitdem wird in dem Haus nicht nur gewohnt. 1939 ließ die Gemeinde im Parterre Wände herausreißen und richtete sich dort einen Gemeindesaal ein. Wegen nun fehlender Stützung sackte das Fachwerk allmählich ab. Erst 1986 wurde das Gemäuer gerettet. Während einer zwei Jahre dauernden Sanierung bekam das Erdgeschoss neue Innenwände. Auch modernere Sanitärräume entstanden. Bis dahin befanden sich die Toiletten in kleinen Kammern, die den Torweg verengten.

Ein Nebenhaus auf dem Hinterhof diente mehreren Generationen unter anderem als Kohlenlager, Waschküche und Stall. Seit 1994 befinden sich in dem früheren Wirtschaftsgebäude der Gemeindesaal und ein Gemeinschaftsraum für Kinder.

Wer vor dem Haus steht, erkennt schnell, dass in beiden Etagen eine Fensteröffnung zugemauert ist (siehe Foto oben). Die fehlenden Fenster sollen bei der bevorstehenden Sanierung eingebaut werden. Das verleiht der Front ein harmonisches Aussehen – schafft aber ein Problemchen: Wohin dann mit der Gedenktafel? Lothar Dornau sagt, wahrscheinlich werde sie im Torweg angeschraubt.

Mehr Gedanken macht sich der Küs­ter über eine Personalangelegenheit: Wer wird ab Herbst neuer Pfarrer der Gemeinde St. Nikolai? Pastor Ebel geht nämlich in Rente. An der Wohnung für dessen Nachfolger soll es nicht scheitern. 

S. Krieg