Hausgeschichten PR-Anzeige
Hamanns letztes großes Werk
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die ehemalige Festhalle in der Wismarschen Straße, heute Standort des Unternehmens KGW.
Andreas Hamann war ein Freigeist: Im September 1934 wurde er seinen Posten als Stadtbaurat los; denn die Nazis fanden, er sei nicht nationalsozialistisch genug eingestellt. Die Festhalle durfte er aber noch als Architekt planen. Das Gebäude im Schweriner Norden entstand nach der letzten von Hamann vorgeschlagenen Variante, die er im Mai 1934 vorgelegt hatte. Allerdings wurden seine Pläne später etwas überarbeitet, denn es sollten, anders als bei Hamann vorgesehen, keine Pfeiler die Sicht auf die Bühne behindern.
Die Arbeiten begannen im Juni 1934 und dauerten nicht mal ein Jahr: Im März 1935 wurde die rund 400.000 Reichsmark teure Halle eingeweiht. Die Nazis brauchten Raum für ihre dort geplanten Inszenierungen. Und den sollten sie bekommen. 6.000 Leute fanden in dem Klotz Platz – 3.600 auf Klappstühlen, dazu 400 auf Bänken, und 2.000 mussten stehen. Das alles auf rund 2.000 Quadratmetern Saalfläche plus 900 Quadratmetern Galerie.
Jedoch wurde die Halle kaum genutzt. In den ersten drei Jahren liefen gerade mal etwas über 40 Veranstaltungen. Eine davon war im Februar 1936 die groß aufgezogene Trauerfeier für den in der Schweiz erschossenen NSDAP/AO-Funktionär Wilhelm Gustloff, einen gebürtigen Schweriner. Bei dem Staatsakt sprach auch Adolf Hitler. Unterhaltsamer waren die Auftritte des Schweizer Clowns Grock 1937 und des italienischen Tenors Beniamino Gigli 1938.
Kurz danach hatte sich‘s erledigt mit Bühnenprogramm. Von 1939 bis 1942 wurde die Halle für die Getreidelagerung genutzt und ab 1942 für die Produktion von Heinkel- und Dornier-Flugzeugen. Das war der Beginn der Technikkarriere des Gebäudes. Sie wurde nur Ende 1948 noch einmal kurz unterbrochen, wobei das Thema Fliegen trotzdem irgendwie eine Rolle spielte, denn es fand in der einstigen Festhalle eine Rassegeflügelausstellung statt. Nach Gründung der DDR ging es allerdings zunächst erdverbundener zu.
Statt Flugzeuge zusammenzubauen reparierte man nun ab etwa 1950 in der Halle Autos (1949 wurde die Halle entsprechend umgerüstet). Schon 1951 zog die Autoreparaturwerkstatt auf das Gelände am Hopfenbruchweg in die frühere Reichsgetreidehalle um, wo sie unter dem Namen KIW Vorwärts bekannt wurde.
Ein Teil des Heiligabend 1948 gegründeten VEB Schweriner Industriewerke zog hingegen vom Hopfenbruchweg in die Halle in der Wismarschen Straße. Im März 1951 wurde der Betrieb umstrukturiert und in ABUS Schwerin umbenannt (ABUS bedeutete „Ausrüstungen für den Bergbau und Schwermaschinenbau“). Im Mai 1952 erfolgte die Umbenennung in Klement-Gottwald-Werk (KGW). Ab 1955 kam dann nach Luft und Erde das dritte Element ins Spiel: Wasser. Denn von nun produzierte man an dem Standort als Zulieferer vor allem für den Schiffbau. Über die Jahre wurde immer mal wieder angebaut, zum Beispiel 1972 und 1974 jeweils zwei neue Seitenschiffe.
Im Jahr 1993 wurde das KGW privatisiert, und der Blick wendete sich wieder eher in die Luft, denn man begann Stahlrohrtürme für Windräder herzustellen. Noch heute besteht darin das Hauptgeschäftsfeld des in KGW Schweriner Maschinen- und Anlagenbau GmbH umfirmierten Unternehmens (die Abkürzung KGW wird nicht mehr aufgelöst). Nach Angaben des KGW hat das Unternehmen derzeit rund 260 Beschäftigte. Zum Vergleich: Beim Klement-Gottwald-Werk waren 1953 fast 700 Produktionsarbeiter angestellt.
Andreas Hamann floh übrigens 1950 vor dem DDR-Regime in den Westen. Er starb 1955 in Hannover und wurde in Schwerin auf dem Alten Friedhof beigesetzt. Die dortige Trauerhalle wurde von ihm entworfen. S. Krieg