15.01.2025

Hausgeschichten

Eine Burg unter dem Pflaster

Der Schlossinnenhof: Unter dem Pflaster gab es 2014/2015 spannende Funde.
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Fassade der alten Slawenburg kam wieder ans Tageslicht und steht heute im Museum

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal hinter eine, die es gar nicht mehr gibt: Die Slawenburg, deren Reste unter dem Innenhof des Schweriner Schlosses schlummern.

Als im vergangenen Sommer das Residenzensemble offiziell zum Welterbe gekürt wurde, gab es das begehrte Siegel für das bauliche Erbe des Historismus. Das Schloss in seiner heutigen Form ist ein Erbe des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte des Ortes reicht aber viel weiter zurück – und Nashornkäfer, Holzbohlen und ein Reisender aus Cordoba spielen dabei eine Rolle.

Zuerst der Reisende: Ein gewisser Ibrahim Ibn Ya‘qub machte sich im 10. Jahrhundert auf den Weg nach Norden. Unterwegs zum Obotritenfürsten Nakon auf der Mecklenburg muss die Gesandschaft im heutigen Schwerin an einer Baustelle vorbeigekommen sein. Ibrahim beschreibt einen im Entstehen befindlichen Burgwall: „Die Slawen ... graben ringsherum und schütten die ausgehobene Erde auf, wobei sie mit Planken und Pfählen nach Weise der Bastionen gefestigt wird ...“ Was der Chronist zu diesem Zeitpunkt sieht, ist jedoch eine Sanierung, kein Neubau.

Hier kommen jetzt die Nashornkäfer ins Spiel. Die hatten ihre Eier im Holz eines zusammengebrochenen ersten Walls von 942 abgelegt. Als die slawischen Burgenbauer Sand und Mergel nachschütteten, um den Bau zu stabilisieren, gelangten die bedauernswerten Käfer nach dem Schlüpfen nicht mehr ins Freie. Erst mehr als 1000 Jahre später wurden diverse Exemplare von Archäologen aus ihren Puppenkammern ans Tageslicht befördert – als älteste Nashornkäfer in Mecklenburg-Vorpommern. Die Insekten waren eine der großen Überraschungen bei den Ausgrabungen, die 2014 und 2015 flankierend zum Bau von zwei Medientunneln im Schlossinnenhof stattfanden. Etwa vier Meter unter dem Hofpflaster war ein slawischer Burgwall zum Vorschein gekommen, mit dem die Archäologen an dieser Stelle nicht gerechnet hatten. Stattdessen hatten sie ihn unter den Baufluchten des Schlosses vermutet – nun lag ihnen die Anlage für neue Entdeckungen zu Füßen.

Eine davon: Eine erste Burg war auf der heutigen Schlossinsel bereits um 942 errichtet worden. Ihre Überbleibsel bildeten nach der Instandsetzung 960 und dem grundlegenden Ausbau bis ins Jahr 965 den Kern des neu aufgesetzten Walls. Damals herrschte vermutlich schon Nakons Nachfolger Mstivoj über die Obotriten und es waren unruhige Zeiten. Aus diesem Grund verfügte Mstivoj über ein ganzes Netz von Flucht- und Reiseburgen – die im heutigen Schwerin war nur eine davon. Hier hatten die Burgenbauer nachbessern müssen, als der erste Wall aus kreuzweise verlegten Weichhölzern, verfüllt mit Torf, nach nur wenigen Jahren zusammensackte – unter anderem aufgrund von Baufehlern.

Der um 960 begonnene Wall war im Vergleich zum wackligen Vorgängermodell von anderer Qualität: Seine Fassade bestand aus Spaltbohlen und war mit Ankerhölzern am Wallkern befestigt. Riegel in den Ankerhölzern verbanden mehrere Holzlagen und gaben der Fassade Halt. Hinter dieser Holzwand wurden stufenweise Sand und Schluff aufgeschüttet.

Mit dem Neubau sicherten sich die Obotriten auch den Standort, der vermutlich strategisch zu gut gewesen war, um ihn aufzugeben. Im Laufe der Jahrhunderte wuchs die heutige Schlossinsel durch immer weitere Aufschüttungen. Zu Zeiten des ersten Walls waren dessen Größe und die der Insel vermutlich noch identisch gewesen. Insgesamt konnten bei den archäologischen Arbeiten sechs slawische Horizonte ausgemacht werden, die von 942 bis ins zweite Drittel des elften Jahrhunderts reichen. Was danach noch an Schichten aus der Zeit Niklots und den anschließend hier ansässigen Schweriner Grafen folgte, wurde beim Schlossumbau im 19. Jahrhundert abgetragen.

Vermutlich hatte sich Mstivojs Sohn Mstislav 1018 während eines Angriffs der slawischen Lutizen in die Schweriner Burg zurückgezogen, wurde dann aber von hier ins Exil gedrängt. Sein Name allerdings hat es an die Fassade des heutigen Schlosses geschafft: „Hier stand zur Wendenzeit eine Burg kampfbereit, die barg den König Mistizlav...“ Und auch, wenn Mstislav und Niklot wohl nicht in direkter Linie verwandt waren – stolz auf das alte slawische Erbe war der Bauherr des 19. Jahrhunderts schon.

Katja Haescher