Hausgeschichten PR-Anzeige
Ein Haus wie aus einem Guss
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Münzstraße 28, wo ein kleines Fachwerkhaus Schweriner Handwerksgeschichte erzählt.
Ob Türklinken im Café Prag oder der Wetterhahn auf dem Chor des Doms: Kunstvolle Metallarbeiten stammen in Schwerin oft aus einem kleinen Fachwerkhaus in der Münzstraße 28. Hier pflegten Ernst Seupel und sein Sohn Kurt mehr als 80 Jahre lang die Kunst des Gelbgießerhandwerks. Dass das Haus heute noch daran erinnert, ist Jörg Seupel, dem Enkel bzw. Neffen der beiden Gelbgießer, zu verdanken. Er hat die einstige Werkstatt zu einem kleinen Traditionskabinett ausgebaut, das er zum Beispiel während der Schweriner Museumsnächte öffnet.
„Ich brauche hier nur einen Gegenstand zu sehen und schon kann ich anfangen zu erzählen“, sagt der Schweriner. Er wurde 1948 in dem Gebäude geboren. „Unsere Nachbarin war Hebamme, sie hat mich auf die Welt geholt“, erzählt der 65-Jährige von der Gemeinschaft in der Münzstraße. Das Haus, die Werkstatt und die Straße selbst wurden der Spielplatz des kleinen Jörg. „Ich denke, dass ich heute derjenige bin, der am längsten hier wohnt“, ist er überzeugt.
Das Haus mit der Nummer 28 gehört schon mehr als 100 Jahre der Familie Seupel. Ernst Seupel, 1871 in Eisenberg geboren, kaufte es am 2. August 1898 für 5000 Goldmark von den Gebrüdern Günther, die hier bereits eine Werkstatt betrieben. „5000 Goldmark waren damals eine ungeheure Summe, die vermutlich dadurch zustande kam, dass mein Großvater auch in der Werkstatt lagernde Goldbarren übernahm“, sagt Jörg Seupel. Den Kaufpreis konnte sich der junge Handwerker nur leisten, weil er reich geheiratet hatte. Das Fachwerkgebäude war zu diesem Zeitpunkt rund 100 Jahre alt: 1801 gebaut, hatte es in dieser Zeit verschiedene Besitzer beherbergt. So wohnte hier zwischen 1803 bis zu seinem Tode 1812 zum Beispiel Leibmedicus Gustav Christian Masius.
Als Ernst Seupel in der Münzstraße die Arbeit aufnahm, befanden sich Gießerei, Dreherei und die Gürtlerwerkstatt in einem separaten Gebäude auf dem Hof. „Die Decke war schwarz, schiefe Lehmwände und der große Gießofen prägten den Raum“, erzählt Jörg Seupel. Er kann sich noch gut erinnern, wie er als Knirps im Haus auf Entdeckungsreise ging und zum ersten Mal die Tür zur Werkstatt öffnete. „Plötzlich stand ich in einem großen, schwarzen Loch, mir gegenüber einer der Mitarbeiter, der mit Formsand arbeitete – und ich war begeistert, dass auch Erwachsene noch im Sand spielen“, erinnert er sich. Mit Hilfe des Sand-Ton-Gemischs und eigens angefertigter Holzformen entstanden in der Gelbgießerei die Negativformen für die herzustellenden Gegenstände: Beschläge, Türdrücker, Ornamente... Flüssiges Messing, das typische Material der Gelbgießer, wurde anschließend in die Hohlräume gegossen. „Wenn das Material eingeschmolzen wurde, herrschten in der Werkstatt Temperaturen von über 50 Grad Celsius“, erzählt Jörg Seupel. Nur zu zweit konnten die Männer den Schmelztiegel mit dem flüssigen Metall aus dem Ofen wuchten – eine gefährliche Arbeit.
Großvater Ernst Seupel stand noch in der Werkstatt, als er bereits über 90 war. Der Patriarch hatte in jungen Jahren für Großherzog und Adlige gearbeitet und beispielsweise Türdrücker und Leuchter für Gutshäuser und Schlösser hergestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten die Russen die Handwerkskunst der Gelbgießer – nicht, ohne Vater und Sohn unter Druck zu setzen. Die Zeiten der Materialknappheit in der DDR überstanden die Handwerker, indem Kunden Altmessing zum Einschmelzen mitbrachten. Kronleuchter von Kirchen gingen genauso durch die Hände der Seupels wie die Ziffern der Domuhr, die in der Werkstatt gereinigt wurden.
Im Vorderhaus spielte sich das Familienleben ab: Der Onkel mit Frau und Sohn, die Eltern von Jörg Seupel mit ihre drei Jungs und natürlich Großvater Ernst wohnten hier. „Für neun Leute war das kleine Haus natürlich sehr eng“, erinnert sich Jörg Seupel. Zudem befanden sich hier noch Wartezimmer und Behandlungsraum, in denen sein Vater als Zahnarzt praktizierte. Nach der Wende erhielt das alte Gebäude eine Verjüngungskur – in enger Absprache mit der Denkmalpflege. Dass die Straße, die sich wie die gesamte Schelfstadt am Ende der DDR in einem katastrophalen Zustand befand, heute zu den schönsten der Altstadt zählt, freut Jörg Seupel. Wenngleich der historisch interessierte Mann mit dem Begriff Altstadt vorsichtig umgeht: „Die Schelfstadt war eigentlich die Neustadt, schließlich sind wir erst 300 Jahre hier“, nennt er sofort ein weiteres Detail der Stadtgeschichte. Davon, dass man nirgendwo so schön wohnt wie hier, ist er ohnehin überzeugt. Mitten in der Stadt – und von der Dachterrasse reicht der Blick bis zum Schweriner See.