22.04.2022

Hausgeschichten

Ein Haus für die Ewigkeit

Demmlers Grabkapelle ist als Denkmal des Freimaurertums einzigartig in Deutschland
Sieben Terrassen führen neben dem Mausoleum nach oben – auch die Zahlen sind hier Symbolträger.
like-imagelike-image
share email
dislike-imagedislike-image

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: In der Demmlerkapelle auf dem Alten Friedhof, die ein Stück Sepulkralkultur erzählt.

Eine schöne Aussicht ist kein Privileg der Lebenden – vor allem dann nicht, wenn sie für die Ewigkeit erworben wird. Baumeister Georg Adolph Demmler jedenfalls sicherte sich ein lauschiges Plätzchen auf dem Alten Friedhof, der damals in Schwerin ein neuer war. Demmler selbst hatte den Platz vor dem Feldtor für eine Begräbnisstätte ausgewählt – zum einen aus Erwägungen der Hygiene, aber auch aufgrund der schönen Lage, von der er sich auf das Gemüt der Angehörigen in ihrem Schmerz eine heilsame Wirkung versprach. Möglicherweise war Demmler auch von dem Anfang des 19. Jahrhunderts in Paris angelegten Père Lachaise inspiriert, der erste als Park angelegte Friedhof der Welt.

Dorthin unternahm der Großherzogliche Gartenbaudirektor Theodor Klett 1862 eine Dienstreise, bevor er im November mit den Arbeiten in Schwerin begann. Schon im Jahr darauf erhielt Demmler die Genehmigung für den Bau der ersten Grabkapelle. Seine Frau Henriette war 1862 gestorben – bereits 1864 sollte ihr Sarg dann vom Domfriedhof in das neue Erbbegräbnis überführt werden. Demmler war aber nicht nur Ehemann und Architekt, sondern auch Freimaurer – und setzte dem Bund mit seiner Grabkapelle ein eigenes Denkmal. Sein Freimaurergrab ist einzigartig in Deutschland und Europa und damit auch eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges.

Bereits im Alter von 22 Jahren war Demmler der Freimaurerloge „Harpokrates zur Morgenröthe“ beigetreten. Den Idealen des Bundes blieb er sein Leben lang treu: Im September 1876 konnte er sein 50-jähriges Freimaurerjubiläum feiern. Nachdem der Baumeister am  2. Januar 1886 gestorben war, wurde sein Sarg neben dem Henriette Demmlers in der Kapelle beigesetzt.

Die Aussicht von dieser Stelle muss in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wunderbar gewesen sein: Die Stadt war noch nicht bis hierher gewachsen und der Blick auf den Ostorfer See war ein Blick in unberührte Natur. Als Ort für seine letzte Ruhe hatte Demmler einen würfelförmigen Kubus entworfen, in dessen lichtdurchflutetem Kuppelraum die beiden Särge standen. Auf Wunsch des Architekten sollte durch die verglaste Tür dieses Raums die Sonne genauso scheinen können wie der Mond. Diese Absage an die Finsternis gehört ebenso zur freimaurerischen Symbolik wie die vielen steinernen Sinnbilder, mit denen das Bauwerk geschmückt ist – darunter Zirkel und Winkelmaß, Hammer und Maurerkelle. Hier ist nichts dem Zufall überlassen: Geometrie- und Zahlensymbolik bestimmen Ordnung und Proportionen, noch die kleinsten Details haben eine tiefe Bedeutung, sind Ansprache an die Eingeweihten und freimaurerisches Bekenntnis.

Demmler hatte verfügt, dass die beiden Särge nach 30 Jahren in die Gruft unter der Kapelle eingelassen werden sollten. Dies passierte allerdings erst 1985, als der 100. Todestag des Architekten bevorstand und Notsicherungsarbeiten in der Kapelle erfolgten. Damit änderte sich jedoch nichts am schlechten Zustand des Monuments, das über Jahrzehnte dem Verfall preisgegeben worden war. 1996 gründete sich ein Förderverein mit dem Ziel, das einzigartige Denkmal zu erhalten und zu sanieren. Dank der Unterstützung zahlreicher Spender konnte dies 2004 und 2005 verwirklicht werden.

Wer heute zum Besuch bei Demmlers vorbeischaut, findet sie auf dem Kapellenberg in Gesellschaft weiterer Schweriner Honoratioren, darunter die Familie Masius, die seit dem 18. Jahrhundert in Schwerin ansässig war und deren Begräbnis oberhalb des Demmlerschen zu finden ist. Insgesamt entstanden zwischen 1863 und 1915 auf dem Alten Friedhof 19 Kapellen, von denen einige zwischenzeitlich sogar den Besitzer wechselten. Lediglich vier sind noch erhalten. Die meisten Schweriner fanden ihre letzte Ruhe in Erdgräbern – je nach Renommee und Vermögen des Verstorbenen mit unterschiedlich aufwändigen  Monumenten geschmückt.
 

Katja Haescher