12.07.2023

Hausgeschichten

Ein Haus aus blauem Dunst

Die Ansichtskarte zeigt den Marienplatz mit dem Unitasgebäude um 1960.
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Gebäude am Marienplatz ist eng mit der Tabakproduktion in Schwerin verbunden

Wer kennt das nicht: Da steht ein sch.nes Haus in der Stra.e, hundertmal und .fter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schlie.lich sind Geschichten von H.usern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: am Marienplatz 1-2, wo das einstige Unitas-Haus von der Geschichte der Tabakverarbeitung erz.hlt. „Staub und Gras – das ist Unitas“. So spöttelten Raucher in der DDR über die Rauchtabakwaren, die den Volkseigenen Betrieb gleichen Namens verließen. Doch Staub hin, Gras her: Das Unternehmen schrieb in der Stadt Schwerin ein Stück Wirtschaftsgeschichte und auch das Gebäude, in dem es sich befand, hat mit der Verarbeitung von Tabak seinen Anfang genommen. Es war 1831, als Jacob Carl Bohn aus Wittenburg einen Bauplatz in Schwerin kaufte. Damals noch an der Lübschen Straße – die Adresse lautet heute Marienplatz. Hier ließ der Tabakfabrikant ein zweigeschossiges Fachwerkgebäude errichten, das im hinteren Teil über ein großes Lager verfügte. Scheinbar boomte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Geschäft rund um das ungesunde Laster: Aus dem Jahr 1833 sind allein in Schwerin vier Tabakfabriken überliefert. 
Rund 20 Jahre später verkaufte Bohn sein Geschäft an den Kaufmann Wilhelm Gramm und den Tabakfabrikanten Christian Heinrich Klatt, die die Fabrik gemeinsam weiterführten. 
Gramm zog sich bereits nach zehn Jahren zurück und war fortan Rentier, sein Schwager Klatt führte das Unternehmen bis 1903. Unter Klatts Ägide, vermutlich in den 1890er Jahren, wurde dann erstmals ausgebaut. Jetzt bekam das Haus, in dem sich auch ein Zigarrenladen befand, ein drittes Geschoss und das Fachwerk eine Fassade mit Ziergiebel. 1913 stand abermals ein Baugerüst vor dem Gebäude Inzwischen hatte der Möbelhändler und -fabrikant Heinrich Schulz das Haus übernommen. Ob es mit dem 1913 verliehenen Titel „Hoflieferant“ zusammenhing, dass er im gleichen Jahr aufstockte? Wer weiß. Jedenfalls erhöhte Architekt Willy Taebel das Gebäude ein weiteres Mal, außerdem erhielt das Dachgeschoss einen Zwerchgiebel. Es war die Zeit des Jugendstils und Taebel bediente sich bei dessen Formensprache, indem er die Fassade unter anderem mit stilisierten Blumenmotiven und einer Kopfplastik schmückte. Nach dem zweiten Weltkrieg zog erneut eine Tabakfabrik ein. Die Firma Unitas war 1946 neu gegründet worden und begann im November mit der Produktion. 20 Beschäftigte kümmerten sich um die Herstellung von Zigaretten der Marke Unitas. Schon im Dezember wuchs die Produktpalette um Rauchtabak mit dem klingenden Namen „Heimatgold“. Auch die Zahl der Beschäftigten wuchs schnell: 1948 waren es bereits 259. Anfangs noch privat, wurde Unitas schnell verstaatlicht. Im Oktober 1947 bekam die Firma einen Treuhänder, einige Monate später wurde sie dem volkseigenen Sektor angeschlossen. 
Wie es nun zu der despektierlichen Aussage über die Unitas-Produkte kam – wer weiß. Möglicherweise steckte dahinter die Rückgewinnung von Tabakabfällen aus Tabakstaub, die von der Arbeitsgruppe Materialeinsparung angeregt worden war. Innovativ war das Unternehmen aber auch auf anderen Gebieten: Der Betriebskindergarten von Unitas war nach dem zweiten Weltkrieg einer der ersten im Land. 
Der Herstellung von Tabakprodukten kam viel Bedeutung zu. Mit den Zigaretten war es allerdings schnell vorbei – ihre Produktion stellte Unitas schon 1954 ein. Umso mehr widmete sich das Unternehmen dem Rauchtabak. Auf diesem Gebiet war Unitas führend in der DDR. Beim Kautabak produzierten die Schweriner sogar für den ganzen Ostblock, bevor Anfang der 1990er Jahre die Tabakproduktion bei Unitas ein Ende fand.

Katja Haescher