Hausgeschichten
Auf der schmalen Seite

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute am Markt 3 in Schwerin, wo ein schmales Haus auch von der Geschichte des Platzes erzählt.
Der barocke Fachwerkbau an der Südwestseite des Marktes schmiegt sich eng an die Seitenfront des deutlich höheren Gebäudes in der Schmiedestraße 2. Fast scheint es, als würde es sich dabei zusammendrücken – so schmal erscheint das Haus. Vier Meter Breite auf sechzehn Meter Länge sind es laut einer Bauzeichnung, die bei Jörg Moll im Stadtarchiv liegt. Ein Keller mit Tonnengewölbe erstreckt sich bis unter den Bürgersteig, ein halbes Mansarddach schließt das Haus nach oben ab. Ist es möglicherweise einmal halbiert worden? In der „Geschichte zur Schweriner Marktbebauung“ verweist Autor Nils Rühberg auf eine Lithografie aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auf der das Mansarddach einen First hat. Das deutet auf eine zweite Dach- und Haushälfte hin, die heute nicht mehr existiert.
Entstanden ist der Bau nach 1651. In jenem Jahr verwüstete ein verheerender Stadtbrand auch den Marktplatz mit Rathaus und 15 Häusern. „Eine planmäßige Anlage des Marktplatzes wurde danach überhaupt erst möglich“, sagt Jörg Moll. Um den Markt zu vergrößern, verschoben die Stadtplaner des 17. Jahrhunderts dessen westliche Seite um ca. 30 Meter. Die Karrees wurden rechteckiger, die Schusterstraße verlief nun parallel zur heutigen Puschkinstraße. Dabei änderten sich auch Grundstückszuschnitte.
Ob das Haus mit der Adresse Markt 3 deshalb schmaler ausfallen musste – wer weiß. Wann es errichtet wurde, ist nicht ganz klar. Das neue Rathaus ist 1654 fertig. „Man wird jetzt moderner, was mit dem Bau des Säulengebäudes im 18. und der neuen Fassade des Rathauses im 19. Jahrhundert gestalterisch abgeschlossen wird“, sagt Moll.
Im 19. Jahrhundert beherbergt das Haus mit der Nummer 3 erstmals Wohnungen. Und was heißt Nummer 3: Zu diesem Zeitpunkt ist die Adresse in den Bauakten mit Markt 642 angegeben. Anhand dieser Katasternummer kann Jörg Moll heute im Archiv die Bauakte ausfindig machen. Allerdings reicht sie nur bis ins 19. Jahrhundert. Damals wurde in der 1858 erlassenen ersten Schweriner Bauordnung festgelegt, dass alle Pläne zweimal abzugeben waren – die Zweitausfertigung verblieb im Amt. Erst dieser Zwang zur Dokumentation sorgte dafür, dass Daten und Akten überliefert wurden. Und natürlich entstanden Akten auch erst dann, wenn jemand beim Bauamt ein Projekt einreichte.
Das tat der Kaufmann Heinrich Hamborg 1922, als er den Anbau eines heute noch existierenden Balkons im ersten Obergeschoss plante. Bereits im 19. Jahrhundert war das Innere mehrfach verändert worden. Die Eingangstür wurde verlegt, das Treppenhaus in den hinteren Bereich versetzt. Mit dem Ausbau einer Wohnung in der Mansarde erhielt das Dach vier Gauben, um Licht in die neu entstehenden Räume zu holen. Diese Umbauten und daraus resultierend das Fehlen des originalen Treppenhauses sowie originaler Fenster und Türen machen eine genaue Datierung zusätzlich schwierig.
Manchmal verraten die Bauakten aber auch Dinge, die über neue Türen und das Versetzen von Stufen und Schornsteinen hinausgehen. Aus dem Jahr 1940 ist ein Vermerk zur Außenwerbung erhalten. Darin war festgelegt, dass Kaufmann Hamborg seinen Familiennamen in sieben Einzelbuchstaben über den zum Markt gelegenen Schaufenstern zeigen durfte. Der damals 61-Jährige führte in dem Haus ein Schuhgeschäft.
Auch Hamborgs Alter lässt sich anhand der Bauakte ausrechnen, was an einem Vorfall vom 18. September 1941 liegt. Damals trat die 14-jährige Gisela Rothenhagen auf die Abdeckung eines Kellerfensters, das in den Bürgersteig hineinragte. Dabei verletzte sie sich am rechten Bein, ihr Vater zeigte Hamborg an. Geburtsdatum und Geburtsort des Beschuldigten sind in der Anzeige vermerkt, die aufgrund dieser Unzulänglickeit am Gebäude den Weg in die Akte fand.
Heute ist das sanierte Haus mit dem monochromen Anstrich ein Schmuckkästchen am Markt. Im wahrsten Sinne des Wortes übrigens: Im Erdgeschoss ist der Laden der Goldschmiede Schoop zu finden.
Katja Haescher




