Hausgeschichten
Die Witwen und die Schulen
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die Villa in der Schlossgartenallee 57.
Das Gebäude, in dem sich heute Räume der Waldorfschule befinden, war anfangs ein Wohnhaus. Errichtet wurde es 1916 vom Hofmaurermeister Carl Frese für Wilhelmine Speetzen (geb. von Stumpfeldt), Witwe eines Ökonomierats. Vier Jahre später wurde ihr das Haus zu groß, oder sie brauchte Geld, jedenfalls vermietete sie einen Teil der Villa in der Cecilienallee 27 (heute Schlossgartenallee 57) an den Gendarmeriekommissar Erich Lock, der wiederum 1921 von dem Kaufmann Georg Schaffstaedter abgelöst wurde.
Weitere drei Jahre später war Wilhelmine Speetzen selbst nur noch Mieterin; sie hatte das Haus an eine gewisse Else Kindt (geb. Fründt) veräußert, womit sich die Anzahl der in dem Haus lebenden Witwen verdoppelte. Schaffstaedter wohnte nicht mehr dort.
Im Jahr 1926 kaufte der Zahnarzt Dr. med. Wilhelm Hoppe die Immobilie. Er praktizierte zu der Zeit allerdings nicht dort, sondern in der Alexandrinenstraße 14 (gleich neben dem „Niederländischen Hof“) – wochentags von 9 bis 13 Uhr sowie dienstags und freitags auch nachmittags von 15 bis 16 Uhr, falls dies von Interesse sein sollte.
Und dann kam Friedrich Hildebrandt. Der damalige Reichsstatthalter und NSDAP-Gauleiter erwarb das Haus Ende 1933. Da Schwerins führender Nazi als vorheriger Landarbeiter eigentlich nicht sonderlich vermögend war, fragt man sich, wie der Mann überhaupt das Geld für die Villa auftreiben konte.
Hildebrandt war auch Herausgeber des „Niederdeutschen Beobachters“. Er zog 1933 mit seinem NSDAP-Blatt von Schwerin nach Rostock um und machte dort dem bürgerlichen „Rostocker Anzeiger“ auf übelste Weise Konkurrenz, man könnte auch sagen, er organisierte kraft seines Amtes einen Boykott der Zeitung. Er schaffte es auf diese Weise, den „Anzeiger“ fast zu ruinieren, so dass sich dessen Herausgeber Carl Boldt gezwungen sah, Hildebrandt dafür zu bezahlen, dass er sich mit dem „Beobachter“ wieder nach Schwerin zurückzog.Der Gauleiter nahm Boldt auf diese Weise 475.000 Reichsmark ab.
Der Historiker Michael Buddrus schreibt dazu („Mecklenburgische Jahrbücher“, 129. Jahrgang, 2014): „Wie im Einzelnen die von Carl Boldt erpressten Gelder verwandt wurden, ist nicht bekannt. Auffällig ist jedoch, dass der Gauleiter Ende 1933 nicht nur sein neues Wohnhaus (…), sondern in Schwerin auch die Gebäude Rostocker Straße 20 und Graf-Schack-Allee 1 erworben hatte.“
Die Sache wurde nie aufgeklärt. Fakt ist jedoch, dass Hildebrandt kurz nach dem Hauskauf von der Stadt gleich noch ein fast 4.000 Quadratmeter großes angrenzendes Grundstück geschenkt bekam. Der Zahnarzt indes zog in das Haus Tannhöfer Allee 9 um, seine Praxis hatte er in die Kleine Paulstraße (heute Franz-Mehring-Straße) verlegt.
Im Mai 1945 floh Hildebrandt aus Schwerin, 1948 wurde er wegen Kriegsverbrechen hingerichtet.
Ende der 1940er Jahre befand sich die Villa in der Vermögensverwaltung der Stadt Schwerin. Im Dezember 1951 beschloss die Stadt, in der Schlossgartenallee 57 eine Schule einzurichten. Die dann „Schlossgartenschule“ genannte Einrichtung eröffnete am 1. September 1952 pünktlich zu Beginn des Schuljahres. Ab 1953 oder 1954 wurden in der gegenüberliegenden Villa Schlossgartenallee 66 zwei Räume für den Chemie- und Physikunterricht mitgenutzt.
Sechs Jahre später eröffnete die Bildungseinrichtung neu als Tagesheimschule. Es war die erste ihrer Art im damaligen Bezirk Schwerin. Nachdem die Tagesheimschule an den Ziegelsee umgezogen war, wurde die Einrichtung in der Schlossgartenallee als Polytechnische Oberschule (POS) weitergeführt; sie bekam im Februar 1965 den Namen „Willi Bredel“.
Im Jahr 2002 ist die Waldorfschule in die schöne Villa nahe des Schweriner Sees eingezogen; sie hatte zuvor fünf Jahre lang ihr Domizil in der Rosa-Luxemburg-Straße. S. Krieg