10.11.2023

Hausgeschichten

Der Trauer Raum geben

Neogotische Kapelle auf dem Alten Friedhof ist wie die Paulskirche ein Werk Theodor Krügers
Rund um die Kapelle befinden sich die Gräber kirchlicher Würdenträger.
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Wohl jeder in Schwerin kennt die Paulskirche. Hier und da schaut ihr Turm aus der Silhouette der Stadt,  die Straßenbahn schnurrt vorbei und wer den Pfaffenteich umrundet, erhascht einen Blick auf die roten Backsteine. Ihre kleine „Schwester“ dagegen ist in der Stadt deutlich weniger prominent. Fast verschwindet ihr Dach unter den Kronen der hohen Bäume, die rundherum herangewachsen sind.  Die Kapelle auf dem Alten Friedhof ist wie die Paulskirche ein Werk des Architekten Theodor Krüger und ein Zeugnis für neogotische Baukultur in der Stadt.

Im November 1862 begann der Großherzogliche Gartenbaudirektor Theodor Klett mit den Arbeiten an einem neuen Friedhof für Schwerin. Die Stadt brauchte eine Alternative zum Domfriedhof, der zu klein geworden war. Der neue Gottesacker sollte großzügig sein, ein Park für die Ewigkeit und damit zur damaligen Zeit etwas ganz Neues.  Klett war nach Paris gereist und hatte den Friedhof von Père Lachaise besucht, den ersten Parkfriedhof der Welt.

Als die neue Schweriner Begräbnisstätte 1863 geweiht wurde, lag sie noch vor den Toren der Stadt. Dorthin wurden die Friedhöfe im 19. Jahrhundert in vielen Orten ausgelagert – neben den hygienischen Vorteilen gab es hier einfach mehr Platz. Allerdings: Die Schweriner Kirchen waren jetzt ein gutes Stück vom neuen Gottes­acker entfernt. Dennoch bedurften Verstorbene wie Trauernde der geistlichen Sorge. Noch vor der Weihe des Friedhofs wurde der Grundstein für eine Kapelle gelegt, welche der Superintendent im Januar 1864 weihte.

Das Gebäude steht auf einer Anhöhe und war mit seinem schlanken, neogotischen Turm gut zu sehen – zumindest, als der Alte Friedhof noch neu war und der Bewuchs klein. Es entstand ein einschiffiger Sakralraum, der Zugang erfolgte durch ein Portal mit Stufengewände, das eine Inschrift aus dem Hebräerbrief trägt: „Jesus Christus – gestern und heute – und derselbe in Ewigkeit“. Weitere Bibelzitate befinden sich im Innern des Raums über den bleiverglasten Fenstern. Typisch für den Baustil ist das Kreuzrippengewölbe der Apsis. Die im Spitzbogen manifestierte Gotik prägt den Raum, der lange fester Bestandteil von Begräbniszeremonien war. Wie diese abzulaufen hatten, ist in der Begräbnisordnung von 1863 zu lesen: „Am Kirchhofsthor wird die Leiche von dem begleitenden Pastor und dem Cantor mit seinen Knaben empfangen und von da zur Gottes­ackercapelle geleitet.“ Nach dem Trauergottesdienst folgten die Trauernden dem Sarg zum Grab.
Rund um die Kapelle wurden ab 1865 Schweriner Geistliche zur letzten Ruhe gebettet. Die Grabsteine von Superintendenten, Bischöfen und Predigern erzählen noch heute ein Stück lokale Kirchengeschichte. Trauerfeiern wurden ungefähr bis zum Zweiten Weltkrieg abgehalten.

Dennoch fremdelten viele Schweriner mit der Kapelle. Bei großen Begräbnissen passte nicht die ganze Trauergesellschaft in den Raum, in dem es außerdem im Winter oft zu kalt war. Und dann war da ja auch noch die Sache mit der Musik: Der Knabenchor, der zum Singen bei Beerdigungen verpflichtet war, konnte der Aufgabe zeitlich nicht mehr gerecht werden – zu oft versäumten die Jungen für das Singen den Unterricht. Ein Harmonium musste her, aus dem geplanten Einbau einer Orgelempore wurde aufgrund des Ersten Weltkriegs nichts.

Zu DDR-Zeiten wurde das Gebäude dem Verfall preisgegeben. Die Rettung des Kleinods konnte beginnen, als das Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege Fördermittel für eine Sanierung bereitstellte. Die begann 2007 mit der Sanierung von Dach und Mauerwerk und dauerte bis 2015 mit der Restaurierung von Glasfenstern, Fußboden und Ausmalung an.

Katja Haescher