15.07.2022

Hausgeschichten

Dem Auge wohlgefällig

Die Villa des Barons von Stenglin beherbergt heute das Kupferstichkabinett.
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Villa in der Werderstraße beherbergt heute das Kupferstichkabinett

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in der Werderstraße 141, wo in einer Villa aus dem 19. Jahrhundert das Kupferstichkabinett des Staatlichen Museums zu finden ist.
Von der Villa gibt es einen wunderbaren Blick auf das Schweriner Schloss. Umgekehrt ist auch der Blick vom Schloss auf die Villa ein durchaus wohlgefälliger. Genau so hatte es sich Großherzog Friedrich Franz II. wohl vorgestellt. Der Herrscher war 1857 in das frisch renovierte Schweriner Schloss eingezogen. Bereits 1842 war im Zuge des Ausbaus der Residenz der Marstall auf den einstigen Wadewiesen entstanden. Allerdings gab es zwischen Schloss und Marstall keine bequeme Verbindung und der Großherzog wünschte sich eine Straße. Eine Straße mit ansehnlichen Häusern daran, um es genauer zu sagen, denn der Blick auf die Hinterhöfe des bereits seit dem Mittelalter existierenden Straßenzugs Tappenhagen war für die durchlauchtigen Augen manchmal vielleicht ein bisschen viel.
Friedrich Franz II. gab also die Initialzündung für die Bebauung dieses Abschnitts der heutigen Werderstraße – und er hatte klare Vorstellungen. In den „Blättern zur Schweriner Geschichte“, herausgegeben vom Historischen Verein Schwerin, beschreiben Sabine Kahle und Friederike Thomas Wünsche des Serenissimus: massive Außenwände und eine Höhe, die sich an den Eckgebäuden des Marstalls orientierte. Außerdem waren alle Entwürfe und später auch geplante Umbauten dem Großherzog zur Genehmigung vorzulegen. Ab den 1860er-Jahren entstanden acht Reihenvillen und eine einzeln stehende Villa, die vom Alten Garten aus gesehen die neue Straßenreihe eröffnet. Der Bauplatz dieses Solitärbaus war der einzige, der verkauft wurde: für drei Taler Courant pro Quadratfuß, was einem Quadrat mit einer Kantenlänge von etwa 0,30 Meter entspricht. Käufer war der Baron Adolf von Stenglin, der die bestehende Villa selbst beziehen wollte. Das sah bei den Interessenten für die anderen Grundstücke anders aus. Maurerpolier Jentz und Zimmermeister Krack nutzten das Angebot zur kostenlosen Übertragung der Grundstücke und verkauften die Häuser nach deren Fertigstellung an Leute von Stand und Vermögen. Dies vorausgesetzt, ließen sie die Villen luxuriös und repräsentativ ausstatten. Baron von Stenglin machte es in seiner
einzeln stehenden Villa genauso. Im Hochparterre des Gebäudes waren ausgehend von einem Foyer die Privat- und Gesellschaftsräume zugänglich. Ein „Ankleidezimmer des Herrn“, wie es auf dem 1862 gezeichneten Grundriss heißt, lag zur Hofseite, genauso wie eines der Frau. Zur Museumsseite befand sich ein großer rechteckiger Saal. Der Wintergarten mit den farbigen Bleiglasfenstern, von dem zu Stenglins Zeiten eine Treppe in den Garten führte, ist eines der frühesten Beispiele Schweriner Wintergartenarchitektur. Und apropos Garten: Dank der ruhigen Lage an der Straße zum Marstall, die damals noch Sackgasse war, waren die Vorgärten für den Aufenthalt im Freien bestens geeignet. Die Straße erhielt den Namen Annastraße – nach Anna von Hessen-Darmstadt, der zweiten Frau Friedrich Franz II., die dieser 1864 geheiratet hatte. Dass Straßen und Plätze nach Mitgliedern der großherzoglichen Familie benannt wurden, war damals in Schwerin gang und gäbe.
Die aus den Bauakten ersichtliche Aufteilung des Hochparterres von Stenglins Villa ist heute nahezu unverändert erhalten. Das ist insofern erwähnenswert, als dass das Haus in den Folgejahren verschiedene Bewohner und Nutzer hatte. 1896 erwarb es der Brauereibesitzer Spitta, dessen Witwe es 1937 an den Tierarzt Heinrich Hess verkaufte. 1945 wurde das Haus Kommandantur und Offizierskasino der Roten Armee und blieb bis 1992 in deren Nutzung. Nach der Sanierung der Villa zwischen 1996 und 1998 zog hier das Kupferstichkabinett des Staatlichen Museums ein. Seitdem ist die Villa eine Schatzkammer mit besten Voraussetzungen, um Zeichnungen,
Druckgrafiken, Plakate und vieles mehr unterzubringen. Bei Veranstaltungen können Besucher einen Blick auf diese Schätze werfen – genauso wie auf Stuckdecken und bunte Glasfenster im Haus des Barons.
Katja Haescher