16.11.2018

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Das „Seehaus“ des Baudirektors

Die Geschichte der früheren Villa von Paul Ehmig und Familie
Das Karrierecenter der Bundeswehr 2018 mit den seitlichen Anbauten. Die „Seeterrasse“ entstand 1927 aus dem Bauschutt des Umbaus. Foto: S. Krieg
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken, diesmal hinter die der Schlossgartenallee 66.

Der Großherzogliche Baudirektor Paul Ehmig beschloss 1910, für sich, seine Frau Margarete und seine beiden Töchter ein angemessenes Domizil zu schaffen. Jedenfalls war es wohl jenes Jahr, in dem er ein schön gelegenes, gut 1.100 Quadratmeter großes Grundstück im heutigen Schlossgartenviertel erwarb. Bereits damals wohnten in dem Gebiet die besser betuchten Schweriner.

Schon Ende 1911 bezog die vierköpfige Familie die Villa, die Ehmig „Seehaus“ getauft hatte und deren Architekt er selbst war. Zu diesem Zeitpunkt trug die Straße, in der sie sich befindet, den Namen Zippendorfer Chaussee. Ein Jahr später wurde sie umbe­nannt, und Ehmigs Adresse lautete Cecilienallee 38. (Von 1936 bis 1945 hieß die Straße Wilhelm-Gustloff-Straße, dann nochmal kurz Cecilienallee, bis sie den Namen Schlossgarten­allee erhielt; die Hausnummern wurden schon vorher neu zusortiert.)

Im Oktober 1914 wurde Paul Ehmigs dritte Tochter geboren. Die Familie bewohnte ihr Haus bis kurz nach dem 1. Weltkrieg allein, nutzte aber im Prinzip nur das Erdgeschoss und die erste Etage, während die Wohnung im zweiten Obergeschoss  so gut wie leer stand. Im Jahr 1918, es herrschte in der ganzen Stadt Wohnraummangel, bekam Ehmig Untermieter zugewiesen. Allerdings schien ihm dies nicht ganz ungelegen zu sein. „Als im Zuge der Inflation große Teile des Vermögens verlorengingen, war er ohnehin auf Miet­einnahmen angewiesen“, schreibt Hans-Heinz Schütt in seinem Buch „Saxa loquuntur, lass die Steine reden! Paul Ehmig – Ein Baumeister in Mecklenburg“.

Weiterhin arbeitete Ehmig auch im „Seehaus“, unter anderem entwarf er hier das Nachbarhaus, in dem dann der Maler Friedrich Wachenhusen wohnte, der auch Taufpate von Ehmigs jüngster Tochter Sabine war.
1927 ließ er das Haus für zwei Familien umbauen, 1932 dann nochmal für drei Familien. Zuletzt bezogen die Ehmigs das Dachgeschoss, das acht Zimmer umfasste. Aus dem Bauschutt des ersten Umbaus wurde die halbrunde Terrasse an der Seeseite der Villa errichtet.

1936 konnte sich Paul Ehmig sein „Seehaus“ nicht mehr leisten und verkaufte es an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV). Bereits im Juli 1928 wurde er auf eigenen Wunsch in den Vorruhestand verabschiedet. Bis dahin leitete er die Hochbauabteilung des mecklenburgischen Finanzminis­teriums. Paul Ehmig und seine Frau zogen 1937 in die Dietrich-Eckart-Straße (heute: Johannes-Stelling-Straße) um; alle drei Töchter waren da bereits aus dem Haus. Am 12. August 1938 wählte er nach langer Krankheit den Freitod; seine Leiche wurde im Kreuzkanal gefunden.

Die NSV baute die Villa erneut um und richtete dort im Mai 1937 ein Kindergärtnerinnen-Seminar ein. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gebäude zunächst zum „Ausländerkrankenhaus Schwerin“, in dem ehemalige Häftlinge vor allem aus dem KZ Sachsenhausen medizinisch versorgt wurden. Anfang der 1950er Jahre wollte die Stadt dort wieder Erzieherinnen ausbilden.

Der Plan zerschlug sich jedoch; stattdessen entstanden in dem Haus ein Physik- und ein Chemieraum für die gegenüber liegende Schule (Schlossgartenallee 57, heute Waldorfschule). Zudem wurde darin ab 1953 die Jugendherberge „Kurt Bürger“ betrieben. Am 1. September 1958 eröffnete in beiden Häusern eine Tagesheimschule für insgesamt 150 Erst- bis Neuntklässler, in der die Schüler auch übernachten konnten; es war die erste im damaligen Bezirk Schwerin. Nachdem diese im Sommer 1964 an den Ziegelsee umgezogen war (sie hieß fortan „Johannes-R.-Becher-Schule“), brachte das Klement-Gottwald-Werk dort seine Lehrlinge unter.

Auf das Internat folgte 1971 das Wehrkreiskommando der Nationalen Volksarmee. Die NVA ließ das Haus zuvor umbauen und an der Südseite um einen Flügel erweitern. Bis heute wird die ehemalige Ehmig‘sche Villa vom Militär genutzt. Ab 3. Oktober 1990 führte die Bundeswehr dort ihr Kreiswehr­ersatz­amt (das Haus ist seitdem in Bundesbesitz). Von 1998 bis 2000 wurde das Haus grundsaniert und umgebaut, und es bekam an der Nordseite einen weiteren Anbau.

Nach der Aussetzung der Wehrpflicht wandelte die Bundeswehr das Kreiswehrersatzamt im Dezember 2012 in ein Karrierecenter um. Rund 45 Mitarbeiter kümmern sich dort jetzt unter anderem um die zivilberufliche Wiedereingliederung früherer Soldaten sowie um Reservisten und beraten Interessenten über eine Bundeswehrlaufbahn. S. Krieg