13.12.2019

Hausgeschichten

Das Haus der Familie Parbs

Von Wohngebäude bis Landesamt – die 88-jährige Geschichte der Schillerstraße 4-6
Viel hat sich nicht verändert; so sieht das Haus heute aus.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die Schillerstraße 4-6.

Wie sähe Schwerin ohne den Architekten Hans Stoffers aus? Das Antlitz der Stadt wäre ohne den Sohn des Zimmerermeisters Ernst Stoffers sicher ein ganz anderes. Zum Beispiel stammen von ihm Bauten, die er für die Zentralmolkerei geschaffen hat; davon existieren heute noch die Häuser Wismarsche Straße 160 und Molkereistraße 3.

Jörg Moll vom Stadtarchiv Schwerin sagt, Stoffers sei so eine Art „Hausarchitekt“ der Molkerei gewesen. Vor allem aber plante Stoffers in unserer Stadt Wohnbauten. Die meisten der ihm zuzuordnenden Häuser entstanden in den 1920er- und 1930er-Jahren.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Häuser in der Virchowstraße, Händelstraße und Robert-Koch-Straße, Wohnblöcke in der Robert-Beltz-Straße und der Sandstraße, die „runde Ecke“ am Bürgermeister-Bade-Platz (zusammen mit Paul Nehls), Dr.-Külz-Straße 3 (wo sich heute unter anderem das „Dr. K.“ befindet), das Haus Mecklenburgstraße / Ecke Geschwister-Scholl-Straße (mit dem Geschäft „Fahrrad Rachow“) sowie das Haus daneben (Sitz der WGS). Und nicht zu vergessen – diesmal keine Wohnungen – das Kaufhaus Kressmann.

Das Doppelhaus Schillerstraße 4-6 ist also nicht Stoffers‘ herausragendstes Objekt, aber eines mit Geschichte. Das Areal, auf dem es sich befindet, besteht eigentlich aus zwei Grundstücken, die die Bauherren Hermann Parbs und Fräulein Ilse Parbs den in Lübeck wohnenden Karl-Heinz und Ilsetraut Bruhn (die zu dem Zeitpunkt noch Kinder waren) abgekauft haben.
Die Bauausführung blieb in der Familie, denn damit wurde Joachim Parbs beauftragt, Hermanns Sohn. Ilse ist höchstwahrscheinlich die Tochter von Hermann und damit die Schwester von Joachim.

Der Bauunternehmer legte die von Stoffers angefertigten Zeichnungen im April 1930 den zuständigen Behörden vor und erhielt fünf Wochen später die Genehmigung zum Bau, obwohl die Grundstücke offiziell erst im Juli 1930 auf die neuen Besitzer übergingen.
Offenbar hatten Hermann und Ilse Parbs ihre jeweilige Doppelhaushälfte als Geldanlage vorgesehen, denn das Gebäude wurde direkt vermietet, ohne dass die Parbs‘ je darin gewohnt hätten.

Allerdings: Schon bevor der Bau fertig war, ahnte Joachim Parbs, dass es hierbei Probleme geben könnte. So bat er im Januar 1931 die Baupolizeibehörde, ihm die Errichtung von Zweizimmerwohnungen im Dachgeschoss zu genehmigen; eigentlich war dies laut Baupolizeiordnung nicht erlaubt, weswegen er ursprünglich mit der Einrichtung von Nebenräumen für die beiden Dreiraumwohnungen in Parterre und der ersten Etage plante. Er werde „dauernd um Einrichtung und Vermietung von Zweizimmerwohnungen gebeten“, begründete er sein Anliegen. Dem wurde stattgegeben.

Am 1. Mai 1931 war das Doppelhaus bezugsfertig. Dort lebten im Verlaufe der Jahre unter anderem der Kaufmann Franz-Ludwig Nizze und der Oberst Adolf Sinniger. Hermann Parbs selbst wohnte in der Zeit in der Güstrower Straße.

Im März 1946 kaufte das Land Meck­lenburg die beiden Häuser, und kurz darauf zog der Landessender Schwerin-Mecklenburg dort ein. Für dessen Zwecke baute man das Haus zunächst um.
Weil der Rundfunk einen großen Senderaum benötigte, wurde eine Wand rausgehämmert, und zwar die Trennwand zwischen beiden Häusern (so wurde aus dem Doppelhaus ein einfaches Haus) und die Decke zwischen erster Etage und Dachgeschoss entfernt. Der so entstandene Saal maß nahezu fünfzig Quadratmeter bei einer Höhe von etwa fünfeinhalb Metern.

Ab 11. August 1946 sendete der Landessender aus der Schillerstraße, nachdem er zuvor im Postgebäude in der Mecklenburgstraße seinen Sitz hatte (den Sendebetrieb dort nahm er Heiligabend 1945 auf). Ein kurzes Intermezzo von drei Jahren, denn bereits im Oktober 1949 zog er in die Schlossgartenallee 61 um, wo sich heute das NDR-Landesfunkhaus befindet.

Auf das Radio folgten kleine Halstuchträger, denn zum Internationalen Kindertag am 1. Juni 1950 eröffnete in der Schillerstraße 4-6 das „Haus der Jungen Pioniere Kurt Bürger“. Der Pionierorganisation diente das Gebäude auch nur kurzzeitig als Domizil, weil schon ein Jahr später das Pionierhaus in der Ritterstraße eröffnet wurde. Anfang 1953 wurde aus dem Gebäude das Haus des Lehrers mit dem Ehrennamen „Marianne Grunthal“. Offiziell am 12. Oktober 1954 übernahm die FDGB-Vermögensverwaltung die Immobilie. Eine Bauzeichnung vom 8. Dezember desselben Jahres weist die Einrichtung als „Haus der Lehrer“ aus; und vermutlich baute man das Haus jetzt ein weiteres Mal um.

Im Jahr 1993 gingen Haus und Grundstück in den Besitz des Landes MV über; seit 2002 wird die Immobilie vom landeseigenen Betrieb für Bau und Liegenschaften verwaltet. Im Sommer 1997 unterschrieb das Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit (Bewährungshilfe) einen Mietvertrag für die Schillerstraße 4-6, wo es sich noch heute befindet. Vor zwei Jahren ließ das Amt kleinere Sanierungen und Umbauten in dem Haus vornehmen.S. Krieg