19.01.2024

Hausgeschichten

Als der Winter verschwand

Der Teepavillon auf der Nordbastion gehört zu den ältesten Teilen des Schloss-Ensembles
Teepavillon mit den Kopien der Sandsteinfiguren, vorn rechts die Nachbildung des Winters, dahinter der Sommer, links Herbst (vorn) und Frühling.
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: auf der Nordbastion des Schlosses, deren Teepavillon zu den ältesten Teilen von Schwerins Sehenswürdigkeit Nummer eins gehört.

Im September 1922 geriet der Kunsthistoriker Dr. Gerd Dettmann regelrecht ins Schwärmen: „Dies kleine in Grün versteckte Tempelchen ist so recht der Platz eines galanten Abenteuers, einer Schäferstunde im Sinne des heiter dahingleitenden 18. Jahrhunderts“, ließ er die Leser der Sonntags-Beilage der Mecklenburgischen Zeitung wissen. Die Rede war vom Teepavillon, einem kleinen Gebäude auf der Nordbastion des Schweriner Schlosses.

Spaziergängern im Burggarten fällt das Häuschen oft gar nicht ins Auge, thront es doch oberhalb des trutzigen Bollwerks. Um so besser konnte Großherzog Friedrich Franz II. das „Lusthaus“ aus den Fenstern seiner Privatgemächer sehen. Der Monarch hatte Mitte des 19. Jahrhunderts den von den Vorfahren ererbten alten Kasten auf der Schlossinsel zu einer repräsentativen Residenz ausgebaut. Der Teepavillon, ein Restbestand des Rokokos aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wurde dabei ins Ensemble integriert. Jetzt entstand nämlich auf der Bastion der Privatgarten des Großherzogs und der kleine Pavillon war eine schöne Staffage – genauso wie der Springbrunnen und die beiden Kanonen, die 1854 eigens für die Bewaffnung des Schlosses erworben wurden und auch zum Abfeuern von Salutschüssen dienten.

Anständige Kanonen – in diesem Fall waren es schwere Schiffsgeschütze – ziemten sich natürlich auch für eine Bastion: Im 16. Jahrhundert hatte Renaissanceherzog Johann Albrecht I. das Schloss festungsähnlich ausbauen lassen. Mit Francesco a Bornau holte er sich dafür einen Spezialisten aus Brescia, der eine erst kurz zuvor in Italien entwickelte Bauweise – die eines Fünfecks – anwandte. An der zeitgleich entstandenen Festung Dömitz, Mecklenburgs „Pentagon“, ist sie heute noch gut erkennbar. Veränderungen an den Festungsanlagen plante Ghert Evert Piloot dann in den 1620er Jahren. Es war die Zeit des 30-jährigen Krieges, allerdings ging jetzt auch das Geld aus und die Umbauten wurden nur teilweise realisiert.

Mit der Errichtung des Teepavillons auf der nordöstlichen Bastionsspitze gut 120 Jahre später und der gärtnerischen Gestaltung der Oberfläche verschwand zunehmend das Martialische – der Geist der Lustwandelnden sollte sich am Anblick schöner Dinge erbauen. Deshalb bestellte der kunstsinnige Herzog Christian Ludwig II. für das Tempelchen noch vier Sandstein­skulpturen. Es sind Allegorien der Jahreszeiten: Der Frühling ein Mädchen mit Schleifenhäubchen, das Blumen im hochgerafften Rock trägt. Der Sommer ein schlafender Junge mit einem Lamm zu seinen Füßen, der Herbst ein Junge, der sich Weintrauben schmecken lässt. Etwas Besonderes hat es mit dem Winter auf sich: Die Originalfigur des Mädchens im langen Mantel, das weinend sein Kleid hebt, um sich am Feuer  zu wärmen, wurde 1947 während einer Industrie- und Handelsmesse gestohlen. Als 2020 Kopien der Putti wieder auf die Treppe zum Teehaus zurückkehrten – die Originale gelangten ins Museum – hatten Bildhauer auch den fehlenden Winter anhand eines Fotos aus den 1920er Jahren ersetzt. Und wenn auch der Herzog 1743 die harsche Kritik eines holländischen Besuchers einstecken musste, der die Figuren als „scanda­leus“ empfand, sind die vier Steinkinder wertvolle kleine Kunstwerke aus der Geschichte des Schlosses.

Apropos Geschichte: Seit dem 19. Jahrhundert befindet sich auf dem Dach des Teepavillons ein vergoldeter Samowar, dieser und der russische St.-Andreas-Orden an der Fassade weisen auf die dynastischen Beziehungen zum russischen Zarenhaus hin. Gleiche gab es nach Dänemark, so dass auch der dänische Elefantenorden unter dem mecklenburgischen Landeswappen über der Eingangstür zeigt, dass hier nicht irgendjemandes Teehäuschen steht. Der Kreis der Träger des höchsten und ältesten dänischen Ritter-Ordens ist klein und handverlesen, Herzöge und Großherzöge von Mecklenburg sind darunter.

Weniger exklusiv war die Nutzung des Teepavillons nach dem Zweiten Weltkrieg: Bis 1950 war er Hühnerstall.  Auch sonst verfiel das Gebäude in den folgenden Jahrzehnten immer mehr. 2003 begann dann die Sicherung von Nordbastion und Pavillon, 2006 wurde die Sanierung der Fassade fertig gestellt. Nun ist auch der achteckige Innenraum wieder ein kleines Juwel. Vom Ehrenhof führt eine Tür auf die Bastion und zum Pavillon. „Seit Fertigstellung der Restaurierungsmaßnahmen ist die Nordbastion zu besonderen Gelegenheiten im Rahmen von Führungen zu besuchen, zum Beispiel am Tag der offenen Tür des Landtages oder am Tag des offenen Denkmals“, sagt Landtagsdirektor Armin Tebben.
           
Katja Haescher