13.03.2015

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Als Büros noch Schreibstuben waren

Backsteingebäude in Lübecker Straße begleitet Geschichte der Sozial- und Rentenversicherung
Mit seiner Backsteinfassade ist das Gebäude auch von außen ein Blickfang. Foto: Haescher
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Lübecker Straße 142, wo prachtvolle Neorenaissance seit mehr als 120 Jahren die Geschichte der Renten- und Sozialversicherung im Nord­osten begleitet.

Es war eine große Veränderung, als 1893 in Schwerin nach Plänen von Georg Daniel das Gebäude der „Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt“ entstand. Nicht nur des markanten Ziegelbaus wegen, welcher der damaligen Friedrich-Franz-Straße an dieser Stelle ein neues Gesicht gab. Es war auch das erste Mal, dass Arbeiter ab einem Alter von 70 Lebensjahren Anspruch auf eine kleine Altersrente hatten. Grundlage dafür war das Gesetz zur Invaliditäts- und Altersversicherung, das der Reichstag am 22. Juni 1889 verabschiedet hatte. In der Folgezeit entstanden zahlreiche Versicherungsanstalten – so auch in Schwerin für die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz.

Die Verwaltung kam vorerst in einer Mietwohnung unter, die schnell zu klein wurde. Denn wenn auch nur wenige Arbeiter überhaupt das Rentenalter erreichten – die Lebenserwartung war deutlich niedriger und in ganz Mecklenburg gab es 1892 gerade einmal 4200 Altersrentner – stapelten sich bald die Akten. Ein Grund dafür waren die Kartendepots, die ab 1892 angelegt werden mussten. Ein eigenes Haus für die Versicherungsanstalt sollte das Platz- und Ordnungsproblem lösen.
Oberbaurat Georg Daniel bekam den Zuschlag und plante ein ansehnliches Verwaltungsgebäude.

Das präsentiert sich nach einer aufwendigen Sanierung seit 2013 im wieder glanzvollen historischen Gewand und vereint die Erfordernisse an moderne Büroarbeitsplätze, Effizienz und Publikumsverkehr mit dem Charme von getäfelten Fluren, Bleiglasfenstern und Wandmalereien. „Das Erdgeschoss mit der hellbraunen Farbgebung der Flure finde ich persönlich am schönsten“, sagt Andreas Bossen. Er ist der Teamleiter der Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Nord, die hier in der eigenen Immobilie ihren Sitz hat.

Mancher Schatz kam während der Sanierung des Hauses erst wieder ans Tageslicht – wie die Säulen im Treppenhaus, die zur Hälfte unter einer Verkleidung steckten und die alten Bodenfliesen und Pitchpine-Dielen, von denen die Bauleute Linoleum in mehreren Schichten schälten.  Von anderen Prachtstücken wurde der Staub gewischt – zum Beispiel von den blumenverzierten Gittern der Heizkörper-
verkleidungen. „Auch funktionsfähige alte Heizkörper sind zum Teil noch erhalten. Es waren sogar schon Kunden hier, die diese am liebsten mitgenommen hätten“, sagt Carola Killer. Sie begann in dem Haus in der heutigen Lübecker Straße 1979 ihre Ausbildung und freut sich über die wieder hervorgeholte Schönheit des „SV-Gebäudes“, wie es die Einheimischen nennen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die sowjetische Verwaltung die Landesversicherungsanstalt Mecklenburg aufgelöst und eine Einheitsversicherung eingeführt. 1951 übernahm der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund die Sozialversicherung in der DDR und Daniels Backsteinbau wurde für die Schweriner zur wichtigsten Anlaufstelle, wenn es um die Beantragung von Rente oder Kuren ging. Mit dem 1. Januar 1991 gehörte das Gebäude zur Landesversicherungsanstalt MV und beherbergte Auskunfts- und Beratungsstelle sowie den Medizinischen Dienst. Nach der Fusion der Landesversicherungsanstalten Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg 2005 ist die Deutsche Rentenversicherung Nord Hausherr in der Lübecker Straße.

„Neben einem Verwaltungsgebäude in Weimar ist das Schweriner deutschlandweit das einzige, das für eine Versicherung errichtet wurde und heute noch so genutzt wird“, weiß Carola Killer. Und Andreas Bossen vergisst beim Rundgang nicht, einen der schönsten Räume des Hauses zu öffnen: den repräsentativen Besprechungsraum mit original Fußboden, Bleiglasfenstern und Kassettendecke – alles unter Denkmalschutz. Der frühere Sitz des Schiedsgerichts wirkt heute so altehrwürdig, „dass die Besucher manchmal fragen, ob irgendwo die Puschen stehen“, erzählt Carola Killer lachend.

Heute sind 44 Beschäftigte in den verschiedenen Bereichen des Hauses tätig. Ein rollstuhlgerechter Zugang von der Schillerstraße und ein Aufzug sorgen für Barrierefreiheit und sind wie der moderne Brandschutz geschickt in die alte Substanz integriert. Nur eins hat sich wirklich verändert: Die von Daniel neben den Schreibstuben geplanten Diener-Zimmer werden schon lange nicht mehr als solche gebraucht. Katja Haescher