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Zusammen ist man weniger allein
Bevor unser verabredetes Gespräch beginnen kann, muss Sabine Klemm erst einmal durchatmen, will sie für ein paar Minuten vor die Tür, schenkt sie mir und sich einen Tee ein. Gerade war eine Schwerinerin zum Gespräch, oft der Auftakt für die Gründung einer Selbsthilfegruppe. Sabine Klemm hört dann von persönlichen Schicksalsschlägen oder chronischen Krankheiten, die so vieles im Leben von Betroffenen verändern. Das Leben zeigt sich in solchen Gesprächen von der schweren Seite. Zuweilen braucht es auch lange Zeit, bis sich Betroffene ein Herz fassen und an die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle für Selbsthilfegruppen Schwerin e.V. (KISS) wenden. Doch deren Geschäftsführerin Sabine Klemm geht auch immer ermutigt aus solchen Gesprächen heraus. Denn der wichtigste Schritt ist getan: Betroffene wagen sich an die Öffentlichkeit, suchen nach Verbündeten, gründen vielleicht eine Selbsthilfegruppe. „Es beflügelt mich, dass Leute mit einem Anliegen hierher kommen und ich es ihnen ermöglichen kann, das, was sie wollen, zu gestalten und umzusetzen,“ sagt Sabine Klemm und blickt mit Zufriedenheit auf die ersten Monate ihrer neuen Arbeit zurück. Seit dem 1. Januar dieses Jahres nämlich lenkt sie ihr Fahrrad allmorgendlich in das Büro der KISS am Spieltordamm am Nordufer des Schweriner Pfaffenteichs. „Ich habe seit dem ersten Tag das Gefühl, hier bin ich richtig“, betont sie.
Wo ist mein Platz?
An ihrem Schreibtisch hat früher Silke Gajek gesessen, die seit ein paar Monaten die Grünen im Landtag vertritt. Hat die Vorgängerin zu große Schuhe hinterlassen? Nein. Im Gespräch mit Sabine Klemm wird deutlich, dass ihre heutige Arbeit dem sehr nahe kommt, was sie schon immer umgetrieben hat: Leuten, die Hilfe brauchen, zur Selbsthilfe verhelfen. Als Psychiatriediakonin arbeitete sie mit geistig und körperlich Behinderten. Ein Beruf, der trotz zehnjähriger Berufserfahrung nach den politischen Veränderungen in Deutschland nicht anerkannt wird. Also setzt sie sich 1991 an der TU Berlin noch einmal auf die Schulbank und will Diplompädagogin werden. Die Sprach- und Kulturbörse, die dort aus einem Streik heraus entsteht und ausländischen Studierenden mit Sprachkursen und Schreibwerkstätten hilft, aber auch Rassismus thematisiert, wird ihre eigentliche Heimat, in die sie sich aktiv einbringt. 2001 zieht es Sabine Klemm wegen der Liebe in den Norden. In Schwerin arbeitet sie für verschiedene Bildungsträger. Im Rahmen des Projektes „Civitas“ beim Schweriner Jugendring e.V. beispielsweise bringt sie die STOLPERSTEINE in die Landeshauptstadt, im Projekt „Impuls MV“ engagiert sie sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Wo ist mein Platz in Schwerin, fragt sich Sabine Klemm, als sie von der Stellenausschreibung für die KISS-Geschäftsführung erfährt. Sie hat oft für zeitlich begrenzte Programme gearbeitet, nun aber möchte sie über einen längeren Zeitraum etwas aufbauen.
Etwas auf die Beine stellen
Buchhaltung und „verwaltungstechnischer Kram“ sind nicht das Liebste, aber jetzt traut sich Sabine Klemm auch das zu. „Ich will, dass die Kontaktstelle gut läuft“, betont sie und arbeitet sich daher mit Engagement in das „Dauerthema Finanzierung“ ein. Da die Kontaktstelle ein Verein ist, muss alljährlich die Unterstützung durch die vier Geldgeber – die Kommune Schwerin, das Land Mecklenburg-Vorpommern, Krankenkassen und Rentenversicherung – abgesichert werden. Sonst aber hängt in der KISS viel davon ab, was die Betroffenen selbst auf die Beine stellen. „Wir sind für alle Themen offen“, betont Sabine Klemm und verweist auf die zurzeit etwa 140 bestehenden Gruppen, in denen es um Themen wie „Fit in jedem Alter“, „Musik zum Wohlbefinden“ aber auch „Politische Häftlinge der DDR“ geht. Oft ist die Kontaktstelle Anlaufpunkt für Menschen mit einer Suchterkrankung, die sich nach einer Therapie in Selbsthilfegruppen treffen und dort gegenseitig unterstützen, ihren eingeschlagenen, abstinenten Weg weiter zu gehen. Getreu dem Motto „Zusammen ist man weniger allein“ haben Selbsthilfegruppen manchen Vorzug gegenüber anderen Hilfsangeboten. „Menschen mit ähnlichen Problemlagen haben eine hohe Betroffenenkompetenz. Sie wissen, worüber sie sprechen, können Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig ermutigen. Aus ihrer Gemeinsamkeit entwickeln sie Perspektiven und Selbstvertrauen – Dinge, die ihnen niemand anderes geben kann“, erläutert die KISS-Geschäftsführerin. Und erinnert sich an jenen Lungenkrebskranken, der trotz todbringender Krankheit eine Selbsthilfegruppe gründete. Indem er etwas in Angriff nahm, gab er sich Hoffnung.
Weiterführende Informationen auf www.kiss-sn.de und www.selbsthilfe-mv.de