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„Viel mit allen Sinnen zu tun“
„Geige zu spielen“, sagt Martina Weidner, „ist ein bisschen so, wie mit fünf Bällen gleichzeitig zu jonglieren. Das Zusammenspiel aller Gelenke am Arm – von den Fingern bis zur Schulter – muss perfekt abgestimmt sein.“ Vielleicht war ihre Mutter auch deswegen ein bisschen erschrocken, als die Sechsjährige auf dem Weg zu ihrer ersten Musikschulstunde plötzlich damit rausrückte, dass sie lieber Geige lernen möchte und nicht Klavier, wie es doch eigentlich geplant war.
„Wir hatten ein Klavier zu Hause, und meine Mutter konnte sehr gut darauf spielen. Es war auch schnell klar, dass mein Zwillingsbruder und ich zur Musikschule gehen und uns an den schwarzen und weißen Tasten üben“, erinnert sie sich. „Mein Bruder hat dann tatsächlich Klavier gelernt. Als ich meiner Mutter sagte, ach übrigens, ich möchte Geige spielen, machte sie sich große Sorgen, konnte sie mir doch nicht beim Üben helfen.“
Als sie 24 oder 25 Jahre alt war, hatte es Martina Weidner geschafft – sie spielte in Erfurt im Orchester. „Als Zehnjährige besuchte ich mit meinen Eltern regelmäßig die Sinfoniekonzerte. Und ich weiß noch, wie ich von der Balustrade runterschaute und dachte, da möchte ich auch mal hin, wenn ich groß bin. Den Gedanken hatte ich nie vergessen, und er kam mir wieder in den Sinn, als ich nun tatsächlich da unten zwischen all den anderen Musikern saß. Das war ein tolles Gefühl“, blickt sie zurück.
Es sei doch „so unwahrscheinlich“ gewesen, dass es gelingt – Musik-Studienplätze waren extrem knapp damals (heute ist es nicht viel anders). Nach dem Abitur begann sie, die in Jena geboren und in Erfurt aufgewachsen ist, also erstmal Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar zu studieren, spielte aber in dieser Zeit auch in einem Streichquartett, das zu der nahegelegenen Hochschule für Musik „Franz Liszt“ gehörte. Inzwischen war sie von Geige auf Bratsche umgeschwenkt.
Der Professor, der das Quartett unterrichtete, ermunterte sie, sich doch mal für die Hochschul-Aufnahmeprüfung anzumelden. „Ich habe dann ein Jahr lang geübt, geübt, geübt – jeden Tag sechs Stunden, mir sogar Übungspläne dafür gemacht. Und Klavierunterricht habe ich genommen. Alles war generalstabsmäßig geplant“, berichtet sie. Es zahlte sich aus, sie bestand gleich die erste Prüfung. Das sei sehr ungewöhnlich, weil die allermeisten Aspiranten fünf oder sechs Anläufe bräuchten, wenn sie denn überhaupt angenommen werden.
Nach dem Studium spielte sie die meiste Zeit in einem kleinen Orchester in Wernigerode, half aber auch anderswo aus, zum Beispiel in Reutlingen, Nordhausen und eben in Erfurt. Und sie arbeitete als Lehrerin für Bratsche und Geige an der Kreismusikschule Harz (Wernigerode).
In unsere Stadt kam sie – wie das oft so läuft – der Liebe wegen. Vor drei Jahren zog sie zu ihrem Robert nach Schwerin, der hier ein Antiquariat betreibt. Dort ist sie voll mit eingespannt, kauft und verkauft Bücher, erfasst Titel, kümmert sich um den Onlineshop, gestaltet die Schaufenster.
Und Robert war es auch, der seine Martina für das Segelfliegen begeisterte. Sie sagt: „Im Harz zählten das Bergsteigen und das Klettern zu meinen Leidenschaften. In meiner neuen Heimat geht das ja nicht. Also habe ich geschaut, was ich hier machen kann.“ Das lautlose Gleiten in luftiger Höhe war ein Volltreffer. Schon nach einem Mal Mitfliegen sei ihr klar geworden, dass sie das auch lernen wolle.
„Segelfliegen hat viel mit allen Sinnen zu tun“, schwärmt sie. Es sei reizvoll, in der Luft den richtigen Weg zu finden, ihn förmlich zu erspüren. Es ist eine so wertvolle Zeit, die man dort oben verbringt, und seien es nur ein paar Minuten. Hinzu käme der Gemeinschaftssinn, weil es immer viele Leute für einen gelungenen Flug brauche. Und genau diesen Gedanken der Zusammengehörigkeit möchte sie auch als Vereinsvorsitzende des Fliegerclubs Schwerin-Pinnow (das ist sie seit Juli dieses Jahres) mehr in den Mittelpunkt rücken – vereinsintern und im Verhältnis zur Gemeinde Pinnow.
Aber Martina Weidners größte Leidenschaft gehört immer noch der Musik, und das nicht allein der klassischen Variante. „Ich unterscheide nicht mal zwischen ernster und Unterhaltungsmusik. Musik ist Musik, ich habe mich immer für alle Richtungen interessiert“, betont sie. Vor ungefähr zehn Jahren begleitete sie sogar als Teil eines kleinen Orchesters sechs Wochen lang Peter Maffay auf seiner „Tattoos“-Tour. Und in der „Ostrock meets Classic“-Reihe hat sie bei dem Klassiker „Am Fenster“ die Bratsche gespielt.
Auch in ihren eigenen musikalischen Projekten lässt sie unterschiedliche musikalische Welten miteinander verschmelzen. Zusammen mit dem früheren „Ideal“-Bassisten Ernst Ulrich Deuker bildet sie das Duo „Affäre Béla B.“, das Klassik, Rock und Jazz-Improvisationen verbindet. Weidner spielt Bratsche, Deuker Kontrabass-Klarinette. Im Repertoire haben sie neben Eigenkompositionen mehrere Stücke von Béla Bartók.
Die 47-Jährige, Mutter einer erwachsenen Tochter und eines 16-jährigen Sohnes, gibt nach wie vor auch anderen Unterricht im Geige- und Bratschespielen. Ihr jüngster Schüler ist 4 Jahre alt, die älteste Schülerin 83. S. Krieg