12.09.2025

Leute

Über den Burgsee gondeln

Gondoliere Uwe Kunze alias Carlo hat sein Diplom in Venedig abgelegt – und ist diesem Bootstyp verfallen
Uwe Kunze alias Carlo fährt eine Gondel aus Venedig und will zu den Venezianischen Tagen über den Burgsee rudern.
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Schwarze Hose, blau-weiß gestreiftes Hemd und ein Strohhut mit Schleife: So sieht die Arbeitskleidung von Uwe Kunze aus und so wird er sich anziehen, wenn er zu den Venezianischen Tagen in Schwerin in seine Gondel steigt. Dann wird aus Uwe Carlo und Schweriner dürfen sich auf eine Gondelfahrt über den Burgsee freuen – mit einem echten Gondoliere, zu dem mehr gehört als ein Ringelshirt und ein italienisch klingender Vorname. Um Uwe Kunze zu beschreiben, müsste es ein Adjektiv wie gondelig geben. Vielleicht beschreibt ja gondelverrückt am besten, was es mit ihm auf sich hat. Aber der Reihe nach.

Als der 65-Jährige noch in Schwerin lebte, war der See sein Revier. „Ich hatte einen kleinen Jollenkreuzer, kenne die ganze Seenplatte als Segler und Paddler“, erzählt er. Das war in den 1980er Jahren oder anders gesagt: in den letzten Jahren der DDR. Uwe Kunze wollte sich damals in der Altbausanierung selbstständig machen. In Schwerin drohte der Abriss der Schelfstadt und der Bauingenieur hatte konkrete Pläne, um Dachstühle alter Häuser zu retten. Er zeigte Initiative und besorgte Holz, von offizieller Seite drohte man ihm dafür mit einer Anzeige. „Ich wurde aus Schwerin regelrecht weggeekelt“, sagt Kunze, der dann über Prag in den Westen floh. Dennoch hat die Stadt Schwerin einen Platz in seinem Herzen. „Schwerin und Venedig“, präzisiert er, wobei die Liebe zur Lagunenstadt sozusagen in einer Gondel kam.

Es passierte in Leipzig auf der Messe. Hier jobbte der wassersportverrückte Student Uwe Kunze und ein italienischer Brokatstofffabrikant hatte eine Gondel ausgestellt. Gar nicht des Schiffes wegen – vielmehr ging es um die feinen Polster und Verkleidungen. „Der Stoff hat mich gar nicht interessiert“, erinnert sich Kunze, „aber dieses herrlich krumme Boot! Ich habe mich in den Menschenstrom gesetzt, um es auch von unten genau anschauen zu können.“ Bei aller Faszination kam dem Anfang-20-Jährigen dabei ein Gedanke: Venedig wirst du nie sehen können. Oder erst, wenn du 65 bist. „Ich hätte heulen können“, erinnert er sich.

Und dann kam doch alles anders. Erst die Wende, dann die verrückte Zeit, in der sich jeder erstmal beruflich neu sortieren musste, auch Uwe Kunze. Und dann 1994 seine erste Fahrt nach Venedig, so eine Drei-Tages-Busreise, wie sie damals überall angeboten wurden, um die Sehnsucht der Ostdeutschen nach der Ferne zu stillen. „Da muss ich nochmal hin, das war mir sofort klar“, sagt der jetzige Hamburger. Natürlich wollte er nicht nur hin, sondern unbedingt auf ein Boot. Und weil der Wassersportler Uwe Kunze wusste, dass Bootsleute häufiger mal auf Handlangerdienste angewiesen sind, trieb er sich am Kanalufer herum. Packte mal hier an, schrubbte mal dort. Und war nach einer Woche dabei.

Nimmt er alle Aufenthalte zusammen, hat er inzwischen mehr als zwei Jahre in Venedig verbracht, ist mit Booten und Gondeln gefahren, kennt das Wassernetz der Stadt. Seine Frau hat es weniger mit den „canali“ als vielmehr mit den „campielli und calli“, den Plätzen und Gassen. Sie erkundete Venedig immer vom Land aus, während ihr Mann Boot fuhr und Boote studierte. So ergänzen sich beide bestens. 

Seit 2009 besitzt Uwe Kunze eine Gondellizenz. Dieser Bootstyp, der wie kein anderer für Venedig steht, nimmt ihn völlig gefangen. „Du kannst die Gondel langsam fahren, du kannst sie schnell fahren, du kannst darauf schlafen und Gäste mitnehmen, sie hat Historie“, sagt er. Diese Historie ist Uwe Kunze wichtig. Fast scheint es, als sei die Gondel für ihn ein lebendiges Wesen, er ist davon überzeugt, dass sie eine Seele hat. Als er seine Gondel gebraucht in Venedig kaufte, fuhr er mit ihr vor der Überführung nach Hamburg eine Abschiedstour durch die Serenissima, vorbei an ihrer Werft und unter der Rialto-Brücke hindurch. 

Uwe Kunze achtet das Wissen der venezianischen Bootsbauer. Zusammen mit seiner Tochter, die Schiffbauingenieurin ist, hat er einmal eine Renngondel gebaut: nicht nach Plan, sondern nach den abgenommenen Maßen eines Bootes, das ein venezianischer Meister „aus dem Bauch heraus“ konstruiert hatte. „Als sich dann die Spanten, von denen jeder eine andere Größe hatte, zusammenfügten, hatten wir das Gefühl, als würde ein vor 300 Jahren verstorbener Bootsbauer hinter uns stehen und uns auf die Schulter klopfen“, beschreibt Kunze die Tradition, die in dem Handwerk lebt.

Und apropos 300 Jahre: Die Gondel, wie sie heute fährt, ist erst seit 1890 in dieser Form unterwegs. Diese „Gondola moderna“ ragt im Gegensatz zum flachen, ganz im Wasser liegenden Vorgängermodell an Bug und Heck aus dem Wasser. Das ist die Voraussetzung dafür, dass ein einzelner Gondoliere das Boot steuern kann.

Wie man mit diesem schwimmenden Zahnstocher um die Hausecken von Venedig kurvt, weiß Kunze selbstverständlich als in der Lagunenstadt diplomierter Gondoliere. In Deutschland steuert er die Gondel meist durch die Hamburger Fleete und über die Außenalster – und am 19., 20. und 21. September auch über den Schweriner Burgsee. Dafür wünscht er sich wenig Regen, aber vor allem wenig Wind – das lange Boot mit dem hoch über dem Wasser stehenden Ruderer ist dafür besonders anfällig. Tickets für die Fahrten zwischen 14 und 20 Uhr gibt es direkt in der Tourist-Info am Markt und unter der Nummer 0385-5925212 beim Stadtmarketing. Und Uwe Kunze, alias Carlo, freut sich riesig auf das Heimspiel auf dem Schweriner Wasser. 

Katja Haescher