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Kirchenretter im Ehrenamt
Jo, mal eins schnacken, dat künnt hei wohl, sagt Jürgen Hansen. Und wenn er sich auch nicht als Spezialisten für die plattdeutsche Sprache bezeichnen möchte, so ist er doch ihr Freund. Zusammen mit anderen Engagierten hat er dafür gesorgt, dass Platt ein Dach bekommen hat. Ein Kirchendach: Die Georgskirche in Kirch Stück ist erste und einzige Plattdeutsch-Kirche Mecklenburgs, und Jürgen Hansen ist der Vorsitzende ihres Fördervereins.
Fördervereine in Mecklenburg gibt es viele – so wie es viele Kirchen gibt, die dieser ehrenamtlichen Fürsorge bedürfen. Jürgen Hansens Sorge galt ursprünglich der Kirche in Groß Trebbow. Als Kirchenältester einer großen Gemeinde am Nordrand von Schwerin sammelte er hier Erfahrungen im Einwerben von Fördermitteln. Neben diesem Know-how brachte er als Pensionär eine weitere wichtige Ressource mit: Zeit. „Ich kann nur jedem, der in den Ruhestand geht, empfehlen, sich ein Ehrenamt zu suchen“, sagt der 79-Jährige. Bei ihm waren viele berufliche Kontakte weggefallen, nachdem er seinen Schreibtisch im Wissenschaftsministerium geräumt hatte. Mit dem Ehrenamt entstand jedoch schnell ein neues Netzwerk, in das Jürgen Hansen eingebunden ist. Dazu nennt er Begegnungen, eine sinnvolle und erfüllende Arbeit und einzigartige Erlebnisse, die sich aus seiner Arbeit im Kirchgemeinderat und im Förderverein ergeben haben. Schließlich können nicht viele Menschen von sich behaupten, schon einmal einen Glockenguss miterlebt zu haben – aber dazu später.
Anfangs, sagt der Seehofer, habe die Kirche in Kirch Stück für ihn keine große Rolle gespielt. Die Kirche Groß Trebbow war der Mittelpunkt der Gemeinde, viele Seehofer orientierten sich auch nach Schwerin. „Wir wussten gar nicht, was wir mit Kirch Stück machen sollten“, erinnert sich Hansen. Seine Frau Maria habe dann die Idee einer „plattdeutschen“ Kirche gehabt. Damals gab es bereits einen Arbeitskreis von Pastoren, die auf Plattdeutsch predigten.
An einem 23. April, dem Tag des Heiligen Georgs, im Jahr 2012 gründeten engagierte Einwohner und Mitglieder der Kirchengemeinde einen Förderverein für die Kirche in Kirch Stück. „Die war in einem furchtbar desolaten Zustand“, erinnert sich Hansen. Das Dach war undicht, die Wände feucht und Einbauten versperrten den Blick auf mittelalterliche Strukturen. Stück für Stück machten sich Kirchengemeinde und Förderverein an die Arbeit. Eines der ersten Vorhaben: die Sanierung der auf 1400 datierten Georgsglocke, die aufgrund von Rissen nicht geläutet werden durfte. „Eine Kirche muss eine Stimme haben, das war unser Ansatz“, sagt der Vereinsvorsitzende. Allerdings tauchte neues Ungemach auf, als das reparierte Stück erklingen sollte. In dem Turm könnt ihr keine Glocke läuten, hieß es jetzt vom Statiker. Dass die Kirchenretter damals nicht gleich das Handtuch warfen, hängt mit den vielen kleinen und großen Erfolgen zusammen, die es trotz der Widrigkeiten gab: „Dadurch fehlten Frustrationserlebnisse.“ Mit LEADER-Erfahrungen und vielfältigen Recherchen akquirierte Hansen immer wieder neue Fördermöglichkeiten. Eine lange Liste der Geldgeber und Unterstützer hängt im Vorraum und reicht bis zum Nachfahren des einstigen Domänenpächters von Klein Medewege, der 2014 die neue Wetterfahne stiftete. 2021 wurde es sogar möglich, neben die mittelalterliche Georgsglocke zwei weitere Glocken zu hängen. Beim Guss in Baden-Württemberg waren Hansen und weitere Mecklenburger dabei. „Pastor Krischan Voß hatte mir ein plattdeutsches Gebet geschrieben, das ich dort gebetet habe“, erzählt der gebürtige Flensburger. „Eine Gruppe aus Bayern, die ebenfalls zum Glockenguss dort war, hat anschließend um eine Abschrift gebeten.“
Plattdeutsch strahlt also aus. Das Plattdeutsche kirchliche Zentrum Kirch Stück, wie es offiziell heißt, hat sich in den zurückliegenden Jahren zu einem Treffpunkt kulturinteressierter Menschen aus Schwerin und den angrenzenden Landkreisen entwickelt. Mehr als 1,2 Millionen Euro wurden hier inzwischen investiert. Die Arbeit des Fördervereins machte es der Kirchengemeinde möglich, den Eigenanteil von zehn Prozent aufzubringen. Ist jetzt alles fertig? Ja, sagt Jürgen Hansen. Bevor er erwähnt, dass die Friedhofsmauer neu aufgesetzt werden muss. Und bei den ausfallenden Salzen im Gemäuer, da müsste man natürlich etwas tun.
Die barrierefreie Zuwegung zum Hauptportal ist das jüngste Projekt. Der Friedhof wird Stück für Stück zu einem Parkfriedhof umgestaltet, auf dem es auch Angebote für neue Begräbnisformen gibt. Ein Flyer soll dazu entstehen. Und dann liegt auch schon wieder das Plakat für die nächste Veranstaltung bereit, um deren Bewerbung sich der Vereinsvorsitzende ebenfalls kümmert.
Es gibt eben viel zu tun in diesem Ruhestand, der keiner ist. Seit vielen Jahren und schon vor seiner Zeit als Kirchenretter ist Jürgen Hansen übrigens Mitglied der 1985 gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz – „aus Überzeugung“, wie er sagt.
Katja Haescher