17.09.2021

Leute

„Schwerin hat mir alles ermöglicht“

Sami Alwattar lebt seit sechs Jahren in unserer Stadt, ist Unternehmer und lernt Bankkaufmann
Der Syrer Sami Alwattar (28) fühlt sich wohl in seiner neuen Heimatstadt Schwerin, die ihn so gut aufgenommen hat.
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Es war etwas ungewohnt für Sami Alwattar, als er in der kleinen Stadt Schwerin eintraf. In seiner früheren Heimat Damaskus lebten „tags­über acht Millionen Menschen, nachts sechs Millionen“, sagt er schmunzelnd. Aber schnell gewöhnte sich der Syrer an die Beschaulichkeit der Hauptstadt Meck­lenburg-Vorpommerns.

„Ich sehe keinen Grund, hier wieder wegzugehen“, sagt Alwattar. Und das liegt nicht allein an der Ruhe und überhaupt der Lebensqualität in Schwerin – in einer Metropole wie Berlin bekomme er inzwischen nach wenigen Stunden Kopfschmerzen –, sondern auch daran, dass er in unserer Stadt eine Ausbildungsstelle gefunden und ein Unternehmen gegründet hat.

Aber nochmal zurück in die syrische Hauptstadt Damaskus, wo Sami Alwattars Geschichte be­ginnt. Hier wurde er geboren und erlebte zusammen mit seiner acht Jahre älteren Schwester Shaza und seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Mostafa eine glückliche Kindheit. Alwattars Vater war Besitzer einer Dessous-Fabrik, seine Mutter Hausfrau.

Shaza kochte gern, und oft durfte der kleine Sami ihr bei der Speisenzubereitung helfen – bis er eines Tages auch allein in der Küche stand. An das erste Gericht, das er selbst gekocht hat, erinnert er sich nicht mehr. Aber die Leidenschaft fürs Kochen sollte ihm später noch helfen.

Das Schulsystem in Syrien sei ähnlich aufgebaut wie das in Deutschland, sagt er. Im Alter von sechs Jahren kam er in die erste Klasse. Ab der neunten Klasse müssen sich die syrischen Schüler entscheiden: Soll es der naturwissenschaftliche oder der geisteswissenschaftliche Weg sein? Alwattar entschied sich für die erste Variante, weil sie ihm viel mehr Möglichkeiten für ein späteres Studium eröffnete.

Er schrieb sich am Institute of Business Administration in Damaskus ein, wo er ab 2012 Wirtschaft studierte. Zu jener Zeit tobte der Bürgerkrieg schon ein Jahr. Bomben, Gewehre und Panzerfäuste waren für ihn weit weg, irgendwo am anderen Ende des Landes. „Aber dann gab es plötzlich nur 300 Meter von der Hochschule entfernt eine Explosion an einer Tankstelle. „In dem Moment wurde mir bewusst, dass der Krieg doch nicht in einer anderen Welt stattfindet, sondern ganz nah ist“, sagt er.

Alwattar hätte nach Abschluss des Studiums beim Militär dienen müssen – nicht wie in Friedenszeiten nur drei Jahre, sondern bis zum Ende des Krieges, verbunden mit großen Gefahren. „Das ist in Syrien keine normale Kriegssituation, wo ein Land ein anderes angegriffen hat, sondern alle Beteiligten stammen aus demselben Land. Und ich hätte für eine Seite kämpfen müssen. Das wollte ich auf keinen Fall“, erläutert er. „Mir war klar, wenn ich jetzt nicht sofort vom sinkenden Schiff springe, bleibe ich für immer drauf.“

Also machte er sich im Herbst 2015 zusammen mit seinem damals 17-jährigen Bruder und fünf Kommilitonen auf die Flucht aus seinem Heimatland. Nur wenige Stunden brauchten sie mit dem Flugzeug von Damaskus bis in die türkische Stadt Adana. In der Türkei suchten sie jemandem, dem sie vertrauen konnten, dass er sie per Schlauchboot nach Griechenland bringt. Das dauerte. Erst vier Wochen später konnten sie übersetzen.

Von Griechenland ging es binnen zwölf Tagen halbwegs reibunglos über den Balkan, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Und warum dann Schwerin? „Ganz einfach“, sagt Alwattar, „ich kannte in der Gegend schon ein paar Leute. Und die haben erzählt, dass es hier mit dem Asyl­antragsprozess wesentlich schneller geht als in anderen, vor allem großen Städten, wo es die meisten Flüchtlinge hinzieht.“ Das stellte sich als richtig heraus, nach zirka sechs Wochen war der Antrag genehmigt.

Er wusste, dass es nun erstmal heißt, die Sprache seiner neuen Heimat zu lernen. Die ersten Schritte machte er bei einem Willkommenskurs der IHK. 2016 ging es weiter mit einem Integra­tions­kurs. Geld verdiente er sich zunächst als Spülhilfe in den Radeberger Bierstuben, wo er von der Küchenchefin eine Menge lernte, so dass er ab 2017 dort schon selbstständig kochen konnte. 2018 wechselte er als Koch zum Pier 7; dort brachte er es 2019 selbst zum Küchenchef. Bis Mai 2020 arbeitete er in dem Restaurant.

Parallel habe er etwas in Richtung BWL gesucht, „aber kein trockenes Studium mehr, sondern eine Tätigkeit mit Kundenkontakt“. Und er wurde fündig: Im vergangenen Jahr begann er bei der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin eine Lehre zum Bankkaufmann. An den Wochenenden arbeitete er in der Gaststätte Alter Amtsturm in Lübz. Im Juli dieses Jahres gab er den Nebenjob auf.

Da hatte er schon begonnen, ein anderes Projekt umzusetzen. Zusammen mit einem früheren Arbeitskollegen aus dem Pier 7 eröffnet der 28-Jährige in der Marienplatz-Galerie einen Imbiss namens „Between The Buns“. Dort wollen sie typisch amerikanisches, aber hochwertiges Fast Food anbieten.

Unterstützung bekommt Alwattar dabei aus der Familie. Sein Bruder, der in Rostock Informatik studiert, programmiert die Website, und seine Schwester, die mittlerweile zusammen mit den Eltern zu Verwandten nach Kanada gezogen ist, hat das Logo ent­wickelt.

Ihn freue es auch sehr, dass er sich nicht zwischen dem Fast-Food-Laden und der Bankausbildung habe entscheiden müssen, denn die Sparkasse lege ihm keine Steine in den Weg. Er überlegt nun, nach der Ausbildung einen Teilzeitjob anzunehmen, um sich noch mehr auf die Selbstständigkeit konzentrieren zu können und vielleicht weitere „Between The Buns“-Filialen zu eröffnen.

„Schwerin hat mir alles ermög­licht, was ich geplant habe“, resümiert Sami Alwattar, der sich hier gut aufgenommen fühlt. S. Krieg