Leute
Ohne Angst vor dem weißen Blatt
Warum sollte ich überhaupt noch schreiben – das kann KI doch viel besser. Bitte entkräften Sie diesen Satz.
Wenn ich Künstliche Intelligenz schreiben lasse, habe ich keinen Zugang mehr zur eigenen Gedankenwelt. Ich verschenke die Möglichkeit, mir Dinge schreibend zu erarbeiten. Ich rede jetzt vom kreativen Schreiben, nicht von einem technischen Text, für den sich KI sicher gut nutzen lässt. Schreibend kann ich mein Inneres erforschen und meine Wahrnehmung schulen. Wer nicht mehr schreibt, verlernt auch immer mehr, sich auszudrücken. Es geht beim kreativen Schreiben gar nicht um perfekt geschliffene Sätze. Es geht darum, Verkopfung aufzuheben und Gedanken fließen zu lassen.
Was ist für Sie das Schönste am Schreiben? Wer hat Sie schreibend beeindruckt – und warum?
Ich mag das Spielerische des kreativen Schreibens. Paul Auster hat mich zum Beispiel deshalb stark beeindruckt, weil es bei ihm immer wieder diesen Übergang von der Realität ins Phantastische gibt. Er spielt verschiedene Versionen einer Geschichte, einer Realität durch, um dann nach 20 Seiten zu sagen: So könnte es sein. Ist es aber nicht.
Warum haben Sie sich entschieden, noch einmal ein Studium in Schreibpädagogik zu absolvieren?
Schon mit 20 war mir der Gedanke unbehaglich, mich für einen Beruf entscheiden zu müssen, den ich dann mein Leben lang machen würde. Ich habe in der Suchttherapie und als Bewährungshelfer gearbeitet, bin seit 2016 aber durchgehend in der Verwaltung tätig. Da war dieser Hunger nach etwas Neuem. Seit 2024 biete ich nebenberuflich die „Schreibküche“ an. Schnell habe ich gemerkt, wie sehr mir diese Arbeit in der Gruppe gefehlt hat. Ich muss selbst gar kein Schriftsteller sein, viel mehr Spaß macht es mir, mit Menschen auf deren Fährten zu gehen.
Was wünschen sich Menschen, die zum kreativen Schreiben in die Schreibküche kommen?
Mein Ansatz ist es, Menschen zum biografischen Schreiben und zu Perspektivwechseln zu bringen. Da passiert viel Aufarbeitung, sind Leute immer dicht dran an ihren eigenen Themen. Aber auch Spaß ist gefragt. Zum Beispiel, dass alle gemeinsam an einer Geschichte schreiben, die immer weitergereicht wird und von der man jeweils nur den letzten Satz lesen kann.
Apropos Aufarbeitung: Darum geht es auch beim neuen Projekt „Letters Found“. Dafür haben Menschen mit Fluchterfahrung Briefe geschrieben, auf die andere ohne Fluchterfahrung antworten werden. Was ist das Ziel dieses Projekts?
Ziel ist es, migrantische Erfahrung sichtbar zu machen. Ursprungsidee und Titel des Projekts stammen vom Literaturrat MV, der es in anderen Städten des Landes bereits durchgeführt hat und so Menschen ins Schreiben und in den Austausch bringt. Die Texte werden auf der Seite des Literaturrats veröffentlicht, außerdem gibt es die Idee, damit eine Lesebühne zu veranstalten. Noch können sich Teilnehmer melden.
Abschließend eine technische Frage zum Schreiben – Laptop oder Kugelschreiber?
Auf jeden Fall Kugelschreiber oder Bleistift. Das schafft eine Verbindung von Hirn und Hand, die es leichter macht, Blockaden abzubauen.
Interview: Katja Haescher