18.04.2019

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Die Macht der Gewohnheit

Gibt es Urlaubsansprüche auch, wenn sie nicht im Arbeitsvertrag stehen?
Rechtsanwalt Wolfgang Leibing ist auf Arbeitsrecht spezialisiert und kann auch bei spitzfindigen Fragen helfen.
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Wenn es im Unternehmen zum Streit mit dem Chef kommt, dann geht es oft darum, welche Rechte und Pflichten eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer im Einzelnen hat und woraus sich diese ergeben. Dabei ist natürlich zunächst auf den Arbeitsvertrag und vielleicht auch auf einen Tarifvertrag zu schauen. Oft stellt man aber fest, dass Dinge dort leider nicht geregelt wurden. Dann könnte es sein, dass sich Antworten aus der bisherigen geübten Praxis im Unternehmen, der sogenannten Betrieblichen Übung, ergeben. Rechtsanwalt Wolfgang Leibing erklärt Einzelheiten.

Herr Leibing, was ist unter „Betrieblicher Übung“ zu verstehen?
Man versteht darunter die regelmäßige oder gleichförmige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, woraus der Arbeitnehmer einen Willen des Arbeitgebers ableiten kann, sich zu einer dauerhaften Leistung oder Vergünstigung zu verpflichten. Aus einer solchen Praxis entstehen dann oft vertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf die üblich gewordenen Leistungen.

Und für welche Art von Leistungen kommt dies in Betracht?
Im Prinzip kommt eine betriebliche Übung für alles in Betracht, das in einem Arbeitsvertrag so allgemein geregelt werden kann. Entscheidend ist nur, wie der Arbeitnehmer die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers verstehen musste und durfte. Bei Sonderzahlungen hat die Rechtsprechung dies sogar ganz konkret gesagt: Für jährlich gezahlte Gratifikationen besteht die Regel, dass eine 3-malige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit führt. Auf einen Willen des Arbeitgebers kommt es dann nicht an, sondern nur darauf, wie der Arbeitnehmer dessen Verhalten verstehen durfte.
Bei anderen Einmalzahlungen wie Jubiläumszuwendungen oder Treuegeldern ist es etwas schwieriger. Da muss man dann auf den Zeitraum, auf die Häufigkeit der Gewährung und vielleicht auch auf die Belegschaftsstärke schauen. Aber auch darauf, wie wichtig Leistungen für den Arbeitnehmer sind. Dabei kann auch ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern bestehen.

Wie ist es denn mit Urlaubsansprüchen, kann es da auch eine solche betriebliche Übung geben?
Ja, im Prinzip auch da. Beispielsweise dort, wo nach dem Gesetz nicht verbrauchte Urlaubsansprüche im Zweifel mit Ablauf des Jahres verfallen. Wenn im Unternehmen Urlaubsansprüche mehr oder weniger unbegrenzt und ständig ins nächste Jahr mit übernommen und dort dann irgendwann verbraucht werden, dann könnte es sein, dass der Arbeitgeber nicht mehr so einfach behaupten kann, ein Urlaubsanspruch aus dem Vorjahr sei nun neuerdings mit dem Jahreswechsel verfallen. Er hat sich dann durch die bisherige Praxis sozusagen selbst gebunden.

Und kommt ein Arbeitgeber aus dieser vertraglichen Bindung wieder heraus?
Das ist nicht so einfach, wenn der Arbeitnehmer nicht zu einer entsprechenden Vereinbarung bereit ist. Ein einseitiger Widerruf der Vereinbarung durch den Arbeitgeber wäre sicher unwirksam. Man könnte daran denken, dass eine mehrmalige Praxis, bei der man ohne Widerspruch des Arbeitnehmers auf die bisherige Vergünstigung verzichtet, zu einer umgekehrten betrieblichen Übung zum Nachteil des Arbeitnehmers führt. Eine solche „Entübung“ lässt das Bundesarbeitsgericht aber nicht mehr zu.

Kann sich ein Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern eigentlich nur etwas Gutes tun will, vor einer solchen vertraglichen Bindung schützen?
Möglich ist dies schon. Aber der Arbeitgeber muss hier schon sehr sorgfältig sein: Klauseln in den Standard-Arbeitsverträgen oder in irgendwelchen formularmäßigen Erklärungen, wonach Leistungen grundsätzlich freiwillig sein sollen oder Ansprüche nur entstehen, wenn sie schriftlich zugesagt werden, verhindern nicht, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht. Der Arbeitgeber muss vielmehr bei der konkreten Leistung ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich aus ihr keine Ansprüche auf Wiederholung für die Zukunft ergeben.