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Kilometer, Punkte, Sportfreundschaften
Es ist noch fast Nacht. Während an diesem Samstagmorgen auf den Dörfern, die wir passieren, einmal so richtig ausgeschlafen wird, düsen Tilman, Julius, Jonathan und Florian - 10- bis 12-jährige Tischtennisspieler des VfL Schwerin - und ich vom Hauptbahnhof aus in Richtung A20. „Um zehn Uhr beginnt das Punktspiel, dann müssen die Jungs so 9.30 Uhr in Anklam sein“, war die Instruktion des Trainer
Wer Sport will, muss fahren
Na toll! Das bedeutet ja, dass wir kurz nach Mitternacht starten müssen. Sicher, die anderen Eltern oder der Trainer fahren die Kinder das gesamte Jahr über in einem mehr oder weniger ausgeklügelten System zum wöchentlichen Training oder zu Wettkämpfen. Manche der Kids trainieren dreimal in der Woche, rechnet man die Samstage und Sonntage mit Punkt- und Ranglistenspielen sowie den Kreis, Bezirks- und Landesmeisterschaften zusammen, kommen ganz schnell tausende von gefahrenen Kilometern zusammen. Hut ab auch vor den vielen Omas und Opas, die mithelfen, den Mädchen und Jungen ihren Sport zu ermöglichen. Aber Anklam? Nun gut - ich war mit dem Fahren dran. Für mich hatte ich das halbe Wochenende bereits seit Tagen im Kopf gestrichen.
„Mentale Vorbereitung“
Autobahn. Noch ist es stockduster. Von schräg hinten kommt die Anfrage „Könnten Sie bitte das Radio ausmachen, es stört nämlich.“ Oh, denke ich, die Jungs wollen sich mental auf die Spiele vorbereiten. Auch wenn mir ohne Radioablenkung beinahe die Augen zufallen, schalte ich die Musik aus. Ich will nicht Schuld sein, wenn nachher die entscheidenen Punkte fehlen. Doch nichts mit Stille! Aus den Nintento-Computern hinter und neben mir klangen jetzt die Kampfgeräusche von Starwars- Kriegern inklusive der Kommentare der Jungs. Genervt schaue ich in den erwachenden Morgen hinaus.
Bundesstraße, kurz vor Anklam. Der Tag kann sich nicht entscheiden, richtig hell zu werden. Wir fahren durch eine diesige Brühe aus Nebelschwaden und Nieselregen. Was die Fahrer mit NVP-Nummernschild nicht davon abhält, wie die Bekloppten zu fahren und hinter uns zu drängeln. Gut, dass ich den Fuchs, der kurz vor uns die Straßenseite wechselt, noch rechtzeitig bemerke und leicht abbremse. Meine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.
Anklam, Ortseingang. Wir sind viel zu früh in der Stadt. Die Fahrt über die Autobahn hat Zeit gespart. Wir stehen vor verschlossener Halle. Mist! Irgendwo war doch hier ein Einkaufszentrum ... Bei Kakao und Keksen vertreiben wir uns die zäh fl ießenden Minuten.
Warten, warten, warten
Sporthalle des Lilienthal-Gymnasiums Anklam. Der Wettkampf wird mit einer kurzen Begrüßungszeremonie eröffnet. In den Punktspielen der Schüler B in der Landesliga muss an diesem Samstag die Mannschaft des TTSV Anklam erst gegen den SV Parchim und dann gegen „meine“ VfL-Jungs antreten. Wir greifen somit erst gegen 12 Uhr in das Wettkampfgeschehen ein. Die Kinder schmollen, dann kommen Florian und Julius auf die Idee, sich in den Umkleideraum zu verziehen und ihre Nintendo-Wettkämpfe weiterzuführen. Mir fällt in dem Moment auch nichts besseres ein ...
Die Spiele der Begegnung Anklam gegen Parchim sind in vollem Gange. Während meine Schweriner in der Umkleide mit Laser-Schwertern kämpfen, sehe ich, wie die Parchimer - übrigens allesamt Mädchen - langsam aber sicher die Siegerstraße beschreiten. Ab und an ertappe ich mich beim Daumendrücken für den ein oder an deren Spieler (oder Spielerin). Mein Fazit: Die Parchimerinnen gewannen Dank ihrer eisernen Disziplin über die gesamte Spielzeit. Wenn wir es nur halb so gut machen, wäre ich schon zufrieden.
Es geht los!
„Meine“ Jungs greifen ins Spielgeschehen ein. Wie Gladiatoren marschieren sie in die Halle. Die Anklamer tuscheln. Sie haben in unseren Reihen Jonathan, den Landesmeister der Schüler C, entdeckt. Auch die anderen Jungs sind den Nordvorpommern bestens bekannt. Beide Teams begrüßen sich freundlich, fast schon freundschaftlich. Nette Gesten unter konkurrierenden Sportfreunden. Ich bin stolz.
Die Spiele im Doppel beginnen. Nur nach außen hin bin ich noch ruhig und gelassen. Ein Match gewinnen wir, das andere geht verloren. Siegerposen hier - Entäuschung dort. Ich spiele Trainer, gebe Tipps, versuche die Traurigen aufzubauen und die Glücklichen zu bestärken. Dann starten an drei Platten die Einzelkämpfe. Auch hier spielen sich kleine Dramen und Katastrophen ab. Ich staune, wie sich unsere kleine Mannschaft selbst hilft: Die Jungs bestärken und trösten sich gegenseitig, feuern sich an. Sie können aber im gesamten Verlauf des Wettkampfes nie entscheidend die Oberhand gewinnen.
Das Punktspiel endet 5:5 . Puh, keine Niederlage! Ich bin fix und fertig. Auch das bekommen die Jungs nicht mit. Nach einem kurzen Austausch über besonders heiße Ballwechsel widmen sie sich im Auto wieder den quäkenden Computern. Als wäre nichts geschehen.
Auch ich ziehe ein Tagesresümee und komme zu dem Schluss, dass Tischtennis spielen besser ist, als mit ´ner Fluppe an der Bushaltestelle zu stehen. Das fanden wohl auch die Parchimer Tischtennis- Mädchen, denn sie warfen „meinen“ Schwerinern so manchen interessierten Blick zu. Ja, sage auch ich, die Jungs sind cool - und ich werde sie wieder fahren. Wohin der Wettkampfkalender sie auch verschlägt.