10.12.2013

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Schau mir in die Augen, Kleines!

Die Fischers Fritzen aus Mueß fischen nur frische Fische
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Gerd Eberwein schiebt sich ein Stück Fisch in den Mund. Seine Lippen glänzen. Öl tropft vom Finger. „Der ist gut“, sagt er und öffnet den Ofen. Im sich auf-
lösenden Rauch kommen die prächtigen Exemplare zum Vorschein – Forellen und Saiblinge. Geschafft. Gerd Eberwein verschwindet in der Finsternis. Es ist mitten in der Nacht. Auf dem Fischereihof Schwerin-Mueß wird immer in der Nacht geräuchert, damit alles so frisch wie möglich an die Kunden geht. Morgen ist Dienstag und da stehen seine Damen mit dem Verkaufswagen auf dem Schweriner Markt. Matte Fischaugen soll da niemand sehen. Die machen Gerd Eberwein selber stinkig. „Schau mir in die Augen, Kleines!“ ist sein Motto.
Seine eigenen Augen hat er derweil geschlossen. Doch Zeit zum Schlafen bleibt wenig. Um fünf Uhr geht es raus aus den Federn. Es gibt genug zu tun auf dem Hof, wo doch Weihnachten und Silvester vor der Tür stehen. Bald beginnt die große Pilgerreise der Schweriner Landratten und Umländer. Sie alle schauen vorbei, um sich traditionell frische Karpfen und Forellen aus den Becken keschern zu lassen. Andere greifen zu Schlei, Hecht oder Wels. Auch Meeresfische wie Dorsch, Dorade und Wolfsbarsch hat Gerd Eberwein da. Denn zweimal in der Woche fährt er morgens um zwei Uhr zum Hamburger Großmarkt, wo die schönsten Exemplare aus aller Welt eintreffen. Klar würden Fischhändler ebenso zu ihm nach Mueß kommen. Aber er hat das ausprobiert und festgestellt, dass zu 50 Prozent alter Mist dabei war. Also entschloss sich Gerd Eberwein 2004 ein Spezialauto für schmerzhafte 50 000 Euro anzuschaffen und damit die Exoten anzulanden. Seine Kundschaft, die nach frischem Thunfisch für Sushi giert, wächst. Manchmal ordert auch jemand lebende Langusten oder gar Königskrabben aus Alaska.
Derweil macht sich auf dem
Fischereihof Mueß ein Mitarbeiter daran, den Bootsmotor anzuwerfen. Die Stellnetze und Reusen auf dem Schweriner See müssen kontrolliert werden. Er schaut, ob Barsche, Maränen, Hechte oder Stinte ins Netz gegangen sind. Zurück an Land macht er sich zusammen mit Gerd Eberwein und weiteren Kollegen daran, den Fang zu schlachten, zu filetieren und zu räuchern. Wie schon vor 300 Jahren räuchern die Mueßer in Altonaer Öfen. Mit von der Partie auf dem Fischereihof ist seit einem Jahr auch seine Frau Angelika, die in Altersteilzeit gegangen ist. Mit ihr teilt der 65-jährige Eberwein die Liebe zum Fisch. Beide studierten in den 1970er-Jahren Fisch-
wirtschaft an der Humboldt-Uni in Berlin. Angelika wuchs mit einem Vater auf, der ein regelrechter Fischnarr war. Gerd verbrachte seine Kindheit am Kummerower See bei Demmin, wo er sich zu einem kleinen Fischräuber entwickelte. „Hätten die Fischer gesehen, was wir getrieben haben, die hätten uns verprügelt“, erinnert er sich schmunzelnd. Nach ihrem Studium zieht es beide in den Norden zurück. Gemeinsam finden sie im VEB Binnenfischerei Schwerin einen Job – einem großen Betrieb, dessen Aktionsradius sich von Dömitz bis Krakow am See und Rostock erstreckt. Zum VEB gehören 32 Betriebe und 250 Mitarbeiter. Angelika Eberwein kommt im Fischgesundheitsdienst unter, ihr Mann wird Produktionsleiter für Karpfen.
Der junge Gerd Eberwein ist ehrgeizig und macht seine Arbeit gut. Im Jahr 1981 kann er Direktor der VEB Binnenfischerei Schwerin werden. Vorausgesetzt, der 33-Jährige wird Parteimitglied. Er will den Job und willigt ein. Bis zur Wende leitet er den Betrieb. Dann weht plötzlich ein anderer Wind. Wie viele seine geschäftsführenden Kollegen wird er kritisch beäugt. Doch seine Mitarbeiter wählen ihn nicht wie anderswo üblich ab. Er wird Treuhandgeschäftsführer, hat die Aufgabe, den VEB zu verkaufen. Ein bitterer Job. Mitarbeiter müssen gehen. Gemeinsam mit zwei Kollegen überlegt er: „Wenn wir nicht alles nur verkaufen wollen, müssen wir handeln und selbst einen Teil kaufen und pachten.“ Gesagt, getan. Sie nehmen Kredite auf, lassen alles verpfänden, selbst ihr eigenes Haus und gründen die Binnenfischerei Mecklenburg Schwerin (BIMES). Gemeinsam mit 40 ehemaligen Mitarbeitern des VEB versuchen sie sich in der Marktwirtschaft zu behaupten. Nach vielen anstrengenden Jahren geht Gerd Eberwein seinen eigenen Weg. Im Januar 1998 gründet er den Fischereihof Mueß. Weitere harte Jahre folgen. Inzwischen ist Gerd Eberwein 65 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er noch nicht. „In fünf Jahren“, sagt er und setzt sich auf eine von Eiskristallen überzogene Holzbank. Dort zündet er sich eine Zigarre an. Am gegenüberliegenden Ufer steigt gerade die Sonne in den eiskalten See. Gerd Eberwein blickt zuversichtlich in die Zukunft. Einer seiner Söhne kann sich vorstellen, in seine Fußstapfen zu treten. Der 33-Jährige hat die Nase voll von der Großstadt. Seit drei Monaten macht er bei seinem Vater eine Ausbildung zum Fischwirt. „Obwohl er jeden Morgen früh aus dem Bett kriechen muss, hat er seine Entscheidung noch keinen Tag bereut“, freut sich Gerd Eberwein und zieht genüsslich an seiner Zigarre.

Öffnungszeiten
Fischereihof Mueß:
Dienstag bis Freitag: 8 bis 18 Uhr
Samstag von 8 bis 12 Uhr
Am 24. Dezember und 31
Dezember von 8 bis 13 Uhr