Kultur
Art-Speed-Dating mit Duchamp
Er war einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts – und Schwerin besitzt eine der europaweit größten und bedeutendsten Sammlungen seiner Werke: Marcel Duchamp, Kunst-Rebell, Surrealist, Dadaist und Erfinder der Ready-mades stand im Mittelpunkt eines Abends im Co-Working Space „tisch“. Es war bereits die Nummer 4 im Veranstaltungs-Countdown vor der Wiedereröffnung des Staatlichen Museums am 30. Oktober.
Natürlich wird die Kunst Duchamps in der neu gestalteten Ausstellung eine entscheidende Rolle spielen. Gezeigt werden soll sie anders als bisher: „Hintergrund ist, dass wir von Besuchern oft gehört haben: Da wird man nicht schlau draus“, sagte Pirko Zinnow, Direktorin der Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen (SSGK) MV auf der Veranstaltung. Daher soll jetzt Duchamps grundlegende Aussage ins Zentrum rücken: Wann ist etwas Kunst? „Für Duchamp stand die Idee im Mittelpunkt, nicht die handwerkliche Meisterschaft, die auch inhaltsleer sein kann“, so Kuratorin Kerstin Krautwig. „Duchamp wollte die Kunst wieder zu etwas Geistigem machen, den intellektuellen Diskurs zurückbringen.“ Dass er für einen Skandal sorgte, als er einer der vielen Mona-Lisa-Reproduktionen, die 1919 in Paris zum 400. Todestag Leonardos da Vinci erschienen, einen Schnurrbart malte, liegt auf der Hand. Aber hinter der Provokation steckte eine ernstzunehmende Frage: die nach der Aussage eines Kunstwerks und wie es sich in einem neuen Kontext verändern kann. Mit dem Primat der Idee billigte Duchamp auch Alltagsgegenständen zu, Kunst zu sein: So hängte er zum Beispiel eine Schneeschaufel an die Decke seines Studios. Titel des Werks: In Advance Of A Broken Arm – also sozusagen „im Voraus eines gebrochenen Arms“. Mit diesem Titel stieß er eine neue Assoziationskette an: ohne Schaufel kein Wegräumen des Schnees, mit Schnee möglicherweise ein Sturz, mit Sturz vielleicht ein gebrochener Arm... Dass Duchamp in dieser Kette Glieder überspingt, gehört genauso zu seiner Kunst wie der Bedeutungswandel, der beim Streichen von Buchstaben entsteht.
Am Ende durften die Besucher beim Art-Speed-Dating selbst in Assoziationsketten eingreifen. Ganz, wie es Kerstin Krautwig nannte, im Sinne von Duchamp: „Er steht nämlich mit einem Augenzwinkern hinter dem Objekt und fragt: Na? Ist es Kunst?“
Katja Haescher