18.05.2022

Stadt

"Das Leben ist bunt"

Die Suppenstube in der Schloßstraße ist der Lieblingsort von Christiane Groß. „Ich freue mich jeden Tag, hierherzukommen“, sagt sie.
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„Genau hier, an dieser Stelle!“ Das antwortet die gebürtige Schwerinerin Christiane Groß auf die Frage nach ihrem Lieblingsplatz in der Stadt. „Genau hier“ ist in der Schloßstraße, hinter dem roten Tresen der Suppenstube. Dort hat Christiane dann eine Kelle in der Hand und füllt an fünf Tagen in der Woche die Schüsseln der vielen Stammgäste. Seit 15 Jahren verwöhnen Christiane Groß und Mathias Schmidt Menschen mit selbstgekochter Suppe. Und es muss mehr dran sein als Kartoffeln und Karotten, wenn die 60-Jährige ihren Arbeitsplatz immer noch als Lieblingsplatz bezeichnet. Für sie ist es ein Wohlfühlort, an den sie jeden Tag gern geht und einen solchen Wohlfühlort will sie auch für andere Menschen daraus machen. Dass es hier familiär zugeht, fängt schon damit an, dass Christiane alle Gäste duzt – auch diejenigen, die
zum ersten Mal kommen. „Schließlich sind wir alle miteinander verbunden“, sagt sie und fügt hinzu: „Wenn du anfängst, Ausnahmen zu machen, erhöhst du einen und machst einen anderen klein.“
Ein Wohlfühlort also, ein Ort der Begegnung, mit Nahrung für Leib und Seele. Dafür stehen Christiane und Mathias jeden Morgen inder Küche und kochen Suppe. „Ich schäle jeden Tag 15 Kilo Kartoffeln und unzählige Möhren“, sagt die Frontfrau des kleinen Unternehmens. Die Rezepte stehen nicht im Kochbuch, die beiden kochen aus dem Bauch heraus fürs gute Bauchgefühl. Dass die Töpfe jeden Tag frisch aufgesetzt werden, ist das Credo, der Laden wird abgeschlossen, wenn alles aufgegessen ist. „Ich möchte keine Lebensmittel wegwerfen“, betont Christiane, die quasi im Schrebergarten ihrer Eltern aufgewachsen ist und weiß, wieviel Arbeit Gemüse macht. Über Suppe haben sich Christiane Groß und Mathias Schmidt auch kennen gelernt. „Durch Mathias hat sich mein Leben komplett verändert, er hat mir die Möglichkeit gegeben, die zu sein, die ich schon immer war“, sagt sie und meint damit den Kontakt zu den Menschen. Nach der Schule hatte die Schwerinerin zuerst bei der Post gelernt und später die Geldsammelstelle geleitet. „Da hab ich im Hauptpostamt hinter Gittern gesessen mit meinen Millionen“, lacht sie heute. Nach der Wende kam dann etwas Neues: Christiane Groß wurde Buchhalterin in der Gastronomie und war damit zumindest schon in der Branche angekommen, die sie heute so liebt. Sie ist der festen Überzeugung, dass Menschen mit guter Laune andere Menschen mit guter Laune anziehen und dies zum Wohlfühl-Level im Laden beiträgt. Wohlfühlen ist ein gutes Stichwort: Wenn Christiane von schönen Dingen spricht, dann nennt sie selbstgekochtes Essen, Fahrrad fahren, schönes Wetter, Flüsse, Seen und das Meer. Sie liebt Wasser: um darauf Boot zu fahren, aber auch, um einfach darauf zu gucken. Von der Dachterrasse ihrer Wohnung ist das möglich und sie genießt den Blick ins Blaue jeden Tag aufs Neue.
Und apropos Blau: Die Schwerinerin ist in ihrer Freizeit begeisterte Malerin, an den Wänden der Suppenstube hängen echte Groß‘. Studiert hat sie dafür besonders die Neurographik, eine Methode, mit der sich innere Bilder und Gedanken visualisieren lassen. Farben spielen dabei eine wichtige Rolle, Christiane Groß liebt sie: „Das Leben ist bunt“, sagt sie, „und ich freue mich jeden Morgen beim Aufstehen über den neuen Tag.“
Genauso freut sie sich darüber, wenn sie zum bunten Leben in Schwerin beitragen kann. Mit Lesungen im eigenen Geschäft zum Beispiel, dann gibt es eben Suppe mit Poesie. Und mit Achtsamkeit, denn Christiane nimmt sich Zeit für jeden, der auch mal ein paar Worte wechseln möchte. „Zu uns kommen viele ältere Menschen, die sonst zu Hause allein essen müssten. Das wäre doch traurig!“, sagt sie und ist genauso glücklich über die Kinder, die gutgelaunt durch den Laden hüpfen. „Für sie male ich Steine bunt an und verschenke sie als kleine Schätze. Das ist besser als Schokolade und die Kinder finden es toll“, sagt die Mutter eines Sohnes. Achtsamkeit ist ihr aber auch sich selbst gegenüber wichtig. Deshalb locken ein See oder die Terrasse, wenn die Arbeit am Nachmittag beendet ist. Im eigenen Interesse nein zu sagen, hat die Unternehmerin in den zurückliegenden Jahren gelernt. „Nein ist ein vollständiger Satz“, findet Christiane, die bei aller Umtriebigkeit manchmal einfach nur still dasitzen möchte. „Wer mich aus dem Laden kennt, glaubt mir oft gar nicht, dass ich das kann“, sagt sie. „Aber wenn ich hier rausgehe, sind alle Wörter für den Tag verbraucht.“
Katja Haescher