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Verliebt in die Musik
Für Christian Münch-Cordellier hat die Weihnachtszeit musikalisch längst begonnen. Allerdings nicht mit „Alle Jahre wieder“ und „Stille Nacht“, sondern mit Gustav Holst, Michel Corrette und Georg Philipp Telemann: Der neue Leiter des Collegium musicum Schwerin probt mit dem Ensemble für zwei Adventskonzerte ein ambitioniertes Programm.
Wenn er darüber spricht, gerät der 44-Jährige ins Schwärmen. Von Glücksmomenten ist dann die Rede, von berührenden Klängen und Stücken so schön, dass er ihnen nach den ersten Sekunden verfallen ist. Für Christian Münch-Cordellier ist Musik eine große Liebe. Ernst wurde es mit den beiden, als er im Alter von 18 Jahren in der Dreikönigskirche seiner Heimatstadt Frankfurt am Main ein Orchester gründete. Der junge Fagottist hatte im Schulorchester die klassische Musik für sich entdeckt, und jetzt wollten er und einige Gleichgesinnte auch außerhalb der Schule musizieren. „Weil immer mehr Leute dazukamen, musste irgendwann einer den Takt schlagen“, sagt Münch-Cordellier. Er stellte sich der Aufgabe – und eroberte sich die herausfordernde Sphäre des Dirigats durch „learning by doing“ und viel Zuschauen. Froh ist er darüber, dass es das Ensemble als Main-Orchester Frankfurt noch heute gibt – nach einem Vierteljahrhundert und nach der Coronazeit.
Ganz einfach war es dem jungen Musiker 2019 nicht gefallen, die Leitung loszulassen. Aber zwischen Frankfurt und seinem neuen Wohnort Lübeck lagen nun einmal 550 Kilometer. Umso mehr freut er sich, dass er mit dem Collegium musicum Schwerin jetzt auch im Norden ein Amateurorchester leiten darf. Eigentlich ist jetzt nur der Altersdurchschnitt höher – einige der mehr als 20 Streicher spielen seit Jahrzehnten in dem Ensemble. „Und auch die über 80-Jährigen sind immer bereit, Neues zu lernen und sich auf mich als neuen Dirigenten einzustellen“, ist Münch-Cordellier beeindruckt.
Er hat evangelische Theologie studiert, wollte eigentlich Pfarrer werden. Die Liebe zur Musik durchkreuzte diese Pläne, er hängte unter anderem Musikwissenschaften dran. Dirigat war keine Option, weil die Klavierausbildung fehlte: „Ich bin ein Arbeiterkind, meine Eltern konnten sich ein solches Instrument nicht leisten.“ Dafür bringt er heute das Beste aus allen seinen Welten zusammen: Empathie und die Fähigkeit, zuzuhören, zu begeistern und mitzureißen. „Ich bin wohl Psychologe, Clown und Coach in einem“, sagt Münch-Cordellier. Als Leiter eines Laienorchesters pflegt er einen entspannten Umgang mit Perfektion. „Ich weiß, dass wir auch Fehler machen“, sagt er – und dennoch streben alle gemeinsam nach dem besten Klang.
Dafür komponiert der Orchesterleiter auch – und zwar die Programme. Gern schaut er dabei in Ecken, die versteckter sind und auf Künstler, die ungerechtfertigt in Vergessenheit gerieten. Beim Konzert des Collegium musicum zum 50-jährigen Bestehen des Schweriner Schlossmuseums erklangen unter anderem „Variationen über ein niederländisches Volkslied“ von Kurt Schwaen. Der 2007 gestorbene Komponist ist vielen in der DDR Geborenen durch Lieder wie „Wer möchte nicht im Leben bleiben“ ein Begriff. Münch-Cordellier entdeckte ihn bei Programm-Recherchen im Internet. Oder Walter Leigh: Sein Concertino für Cembalo und Streicher ist für den Lübecker ein unglaublich berührendes Stück Musik. Leigh, dessen Geburtstag sich 2025 zum 120. Mal jährt, starb im Alter von 36 Jahren im zweiten Weltkrieg. „Was für ein Verlust, er stand kurz vor seinem Durchbruch“, sagt der Orchesterleiter, der das Concertino mit dem Collegium musicum im kommenden Jahr spielen möchte.
Offiziell erfolgte die Taktstockübergabe von Adalbert Strehlow an Christian Münch-Cordellier im April dieses Jahres. Doch gab es zuvor bereits einen Auftakt, der so gar nicht geplant war: „Mitte März erhielt ich einen Anruf, ob ich ganz kurzfristig vertretungsweise eine Generalprobe dirigieren könnte“, erinnert sich der 44-Jährige. Und obwohl er gerade mitten in einer Abschlussarbeit steckte und die gefragten Stücke noch nie aufgeführt hatte, sagte er zu – um dann das Glücksgefühl zu erleben, dass das Collegium musicum gut mit ihm spielen konnte. Die Konzerte dirigierte er anschließend auch.
Übrigens ohne Taktstock: „Mit zehn Fingern kann ich mehr zeigen“, sagt Christian Münch-Cordellier. Sehr freuen würden sich sowohl Leiter als auch Ensemble über weiteren Zuwachs – auf der neuen Homepage www.collegium-musicum-schwerin.de können sich Interessierte informieren.
Der neue Dirigent jedenfalls hat den Kopf voller Musik und entdeckt immer wieder Neues. Gut 20.000 CDs stehen in seinem Regal, ohne Musik kann er nicht sein. Musik und Liebe haben für ihn auch noch anders zusammengefunden: Im Orchester in Frankfurt lernte er 2005 seine Frau kennen, die dort Oboe spielte – das Instrument, das beim Einstimmen eines Orchesters den Kammerton A angibt. Inzwischen hat das Paar eine kleine Tochter und als Musiker bringt es Christian Münch-Cordellier auf den Punkt: „Heute gibt sie bei mir den Ton an.“
Katja Haescher